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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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absoluter Lieblingsbetrug lässt sich schon heute nicht mehr praktizieren. Dennoch, eine überraschend große Zahl von krummen Dingern hat sich als zeitlos erwiesen – der spanische Häftling, die Brieftasche auf der Straße, der Trick mit dem Ring (entsprechend der Brieftasche auf der Straße, nur mit einem Goldring), das Fiedelspiel …«
    »Vom Fiedelspiel hab ich noch nie was gehört«, sagte Shadow. »Von den anderen schon, glaube ich. Mein alter Zellengenosse hat erzählt, wie er den spanischen Häftling tatsächlich durchgeführt hat. Er war ein Betrüger.«
    »Ah«, sagte Wednesday, und sein linkes Auge funkelte. »Das Fiedelspiel war ein schöner und wunderbarer Trick. In seiner Reinform ein Zwei-Mann-Schwindel. Er schlägt, wie alle großen Betrugsmanöver, Vorteil aus der menschlichen Gier. Dass man einen ehrlichen Menschen nicht übers Ohr hauen könne, gilt nur im Kino, man kann es sehr wohl, es erfordert nur mehr Arbeit. Also. Wir befinden uns in einem Hotel oder einem Gasthaus oder einem guten Restaurant, und dort beim Essen sehen wir einen Mann – schäbig, aber elegant schäbig, nicht gerade heruntergekommen, aber er hat offensichtlich eine Pechsträhne gehabt. Wir wollen ihn Abraham nennen. Und als der Moment gekommen ist, die Rechnung zu begleichen – keine riesige Rechnung, bewahre, fünfzig, vielleicht fünfundsiebzig Dollar – eine peinliche Situation! Wo ist seine Brieftasche? Großer Gott, er muss sie bei einem Freund vergessen haben, gar nicht weit von hier. Er wird unverzüglich loseilen und sie wieder beschaffen. Aber hier, Herr Wirt, sagt Abraham, nehmen Sie diese meine Geige als Sicherheit. Sie ist alt, wie Sie sehen, aber ich verdiene mein Brot mit ihr.«
    Wednesdays Lächeln wurde breit und beutegierig, als er die Kellnerin herankommen sah. »Ah, die heiße Schokolade! Von meinem Weihnachtsengel herbeigebracht! Sagen Sie, meine Liebe, könnte ich noch von Ihrem köstlichen Brot bekommen, wenn es nicht gar zu viele Umstände macht?«
    Die Kellnerin – wie alt war sie, fragte sich Shadow, sechzehn, siebzehn? – blickte zu Boden und bekam purpurrote Wangen. Mit zitternden Händen stellte sie die Schokolade ab und zog sich an den Rand des Saals zu der sich langsam drehenden Kuchenauslage zurück, wo sie stehen blieb und Wednesday eine Weile anstarrte. Dann schlüpfte sie in die Küche, um ihm das Brot zu holen.
    »Also. Die Violine – betagt, kein Zweifel, vielleicht sogar ein wenig ramponiert – wird in ihrem Kasten verstaut, und unser vorübergehend mittelloser Abraham bricht auf, seine Brieftasche zu suchen. Aber ein gut gekleideter Gentleman, der selbst eben erst seine Mahlzeit beendet hat, hat den ganzen Wortwechsel mitverfolgt und wendet sich nun an unseren Wirt. Ob er wohl unter Umständen einen Blick auf die Violine werfen könne, die jener ehrliche Abraham hinterlassen habe?
    Selbstverständlich kann er das. Unser Wirt reicht sie ihm, und der gut gekleidete Mann – nennen wir ihn Barrington – sperrt den Mund ganz weit auf, dann, als er sich besinnt, wo er ist, macht er ihn wieder zu, untersucht die Violine mit Ehrfurcht, ganz wie ein Mann, dem Zutritt zu einer heiligen Stätte gewährt wurde, um die Knochen eines Propheten zu inspizieren. ›Aber!‹, sagt er. ›Das ist ja … sie muss es sein … nein, das kann nicht sein … aber doch, ja, sieh nur – mein Gott! Das ist ja unfassbar !‹ Und er deutet auf das Herstellerzeichen, das auf einem braun getönten Streifen Papier im Innern der Violine zu sehen ist – aber auch ohne das, sagt er, hätte er sie erkannt, an der Farbe der Lasur, an der Schnecke, an der Form.
    Jetzt greift Barrington in die Tasche und zieht eine edle Visitenkarte hervor, die ihn als einen bedeutenden Händler seltener und antiker Musikinstrumente ausweist. ›Diese Violine ist also ein seltenes Stück?‹, fragt unser Wirt. ›Das kann man wohl sagen‹, sagt Barrington, der sie noch immer ehrfürchtig anstaunt, ›und sie ist mehr als hunderttausend Dollar wert, wenn ich mich nicht sehr täusche. Selbst als Händler würde ich fünfzig- – nein, fünfundsiebzigtausend Dollar für ein so erlesenes Stück zahlen. Ich habe jemanden an der Westküste, der es auf der Stelle, unbesehen, per Telegramm sozusagen, kaufen würde, und er würde zahlen, was immer ich verlange.‹ Dann blickt er auf seine Armbanduhr und macht ein langes Gesicht. ›Mein Zug …‹, sagt er. ›Ich muss mich beeilen, dass ich ihn noch erreiche! Werter Herr, wenn der

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