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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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möglich, aber so unwahrscheinlich, dass man es fast ausschließen kann. Also insoweit kein Grund zur Besorgnis. Ja sicher, viele Mädchen haben Brüder – und übrigens auch Väter. Das ist aber kein großes Problem. In neunundneunzig von hundert Fällen bin ich schon aus der Stadt raus, bevor die hier aufkreuzen.«
    »Wir übernachten also hier?«
    Wednesday rieb sich das Kinn. »Ich werde im Motel 6 übernachten«, sagte er. Er steckte die Hand in die Manteltasche und zog einen bronzefarbenen Haustürschlüssel hervor, an dem ein Adressenschild befestigt war: Northridge Road 502, Apt. 3. »Auf Sie dagegen wartet eine Wohnung, in einer nicht allzu weit entfernten Stadt.« Wednesday schloss für einen Moment die Augen. Dann gingen sie, grau und funkelnd und nicht ganz zusammenpassend, wieder auf, und er sagte: »Der Greyhoundbus kommt in zwanzig Minuten hier durch den Ort. Er hält an der Tankstelle. Hier ist Ihre Fahrkarte.« Er zog einen gefalteten Busfahrschein hervor und reichte ihn über den Tisch. Shadow nahm ihn entgegen und warf einen Blick darauf.
    »Wer ist Mike Ainsel?«, fragte er. Der Fahrschein war auf diesen Namen ausgestellt.
    »Das sind Sie. Fröhliche Weihnachten.«
    »Und wo ist Lakeside?«
    »Ihr glückliches Zuhause für die kommenden Monate. Und nun, da aller guten Dinge drei sind …« Er zog ein kleines, in Geschenkpapier eingewickeltes Päckchen aus der Tasche und schob es über den Tisch neben die Ketchupflasche, deren Deckel mit schwarz getrocknetem Ketchup verschmiert war. Shadow machte keine Anstalten, es an sich zu nehmen.
    »Na, was ist?«
    Zögernd riss Shadow das rote Geschenkpapier auf und brachte eine rehbraune, blank gescheuerte Kalbslederbrieftasche zum Vorschein. Es war ganz offensichtlich eine gebrauchte. In der Brieftasche befand sich ein Führerschein mit Shadows Foto, ausgestellt auf den Namen Mike Ainsel mit Wohnsitz in Milwaukee, ferner eine Mastercard für M. Ainsel und zwanzig druckfrische Fünfzigdollarscheine. Shadow klappte die Brieftasche zu und steckte sie in eine seiner Innentaschen.
    »Danke«, sagte er.
    »Betrachten Sie es als Weihnachtsvergütung. So, jetzt will ich Sie zum Greyhound begleiten. Ich werde Ihnen nachwinken, wenn Sie den grauen Hund nach Norden reiten.«
    Sie traten vor das Restaurant. Shadow mochte kaum glauben, wie kalt es in den letzten paar Stunden geworden war. Zu kalt wahrscheinlich, als dass es schneien würde. Eine aggressive Kälte. Es würde wohl ein schlimmer Winter werden.
    »He, Wednesday, diese beiden Betrügereien, von denen Sie mir erzählt haben, die mit der Violine und die mit dem Bischof, dem Bischof und dem Polizisten …« Er zögerte, wie um seine Gedanken richtig zu fassen zu bekommen.
    »Was ist damit?«
    Dann hatte er es. »Das waren doch beides Zwei-Mann-Schwindel. Je ein Mann auf jeder Seite. Hatten Sie früher etwa einen Partner?« Shadows Atem bildete Wolken in der Luft. Er gab sich das Versprechen, dass er, in Lakeside angekommen, von seinem Weihnachtsgeld den wärmsten und dicksten Wintermantel kaufen würde, den es im Angebot gab.
    »Ja«, sagte Wednesday. »Ja. Ich hatte einen Partner. Einen Juniorpartner. Aber, leider Gottes, die Zeiten sind vorbei. Dort ist die Tankstelle, und dort , wenn mich meine Augen nicht sehr täuschen, ist der Bus.« Der Blinker kündigte bereits das Einbiegen auf den Parkplatz an. »Ihre Adresse steht ja auf dem Schlüsselanhänger«, sagte Wednesday. »Sollte jemand fragen, bin ich Ihr Onkel, und ich schmücke mich mit dem unwahrscheinlichen Namen Emerson Borson. Werden Sie in Lakeside heimisch, Neffe Ainsel. Ich komme im Laufe der nächsten Woche, um Sie abzuholen. Wir werden gemeinsam reisen. Die Leute aufsuchen, die ich aufzusuchen habe. Verhalten Sie sich inzwischen unauffällig und handeln Sie sich keinen Ärger ein.«
    »Und mein Auto …?«, sagte Shadow.
    »Ich werde gut darauf aufpassen. Viel Spaß in Lakeside«, sagte Wednesday. Er streckte die Hand aus, und Shadow schüttelte sie. Wednesdays Hand war kälter als die einer Leiche.
    »Herrje«, sagte Shadow. »Sind Sie kalt.«
    »Je eher ich also mit dem süßen Mädel aus dem Restaurant in ein verschwiegenes Motel-6-Zimmer verschwinde, um das Tier mit den zwei Rücken zu machen, desto besser.« Er streckte nun auch die andere Hand aus und drückte Shadow an der Schulter.
    Shadow erlebte einen Schwindel erregenden Moment von Doppeltsehen: Vor sich sah er den grauhaarigen Mann, der ihm die Schulter drückte, aber er sah auch

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