American Gods
Es gibt ein Land im Osten, das menschenleer ist. Dieses Land soll euer Land sein und das eurer Kinder und Kindeskinder über sieben Geschlechter und sieben mal sieben. Wäre Atsula nicht ungläubig gewesen, hättet ihr es für immer behalten können. Packt am Morgen eure Zelte und Habseligkeiten zusammen und geht in Richtung Sonnenaufgang.«
Gugwei und Yanu und Kalanu neigten den Kopf und lobten laut rufend die Macht und die Weisheit Nunyunninis.
Der Mond schwoll an und nahm ab, schwoll wieder an und nahm erneut ab. Die Menschen des Stammes wanderten nach Osten, dem Sonnenaufgang entgegen, kämpften sich durch die eisigen Winde, welche die ungeschützte Haut gefühllos machten. Nunyunnini hatte wahr gesprochen: Sie büßten auf der Reise kein Mitglied des Stammes ein, mit Ausnahme einer gebärenden Frau, und gebärende Frauen gehörten dem Mond, nicht Nunyunnini.
Sie überquerten die Landbrücke.
Kalanu hatte sie im ersten Morgengrauen verlassen, um den Weg zu erkunden. Jetzt war der Himmel dunkel, und Kalanu war nicht zurückgekehrt, doch war der Nachthimmel voller Leben, Lichter flackerten, verknoteten und wanden sich, es war ein Fließen und Pulsieren, weiß und grün und violett und rot. Atsula und ihr Volk hatten die Nordlichter schon einige Male gesehen, fürchteten sich aber dennoch vor ihnen, und dies war jetzt ein Schauspiel, wie sie es noch nie erlebt hatten.
Kalanu kehrte zu ihnen zurück, während die Lichter am Himmel fortwährend neue Gestalten annahmen.
»Manchmal«, sagte sie zu Atsula, »habe ich das Gefühl, ich könnte einfach die Arme ausbreiten und in den Himmel fallen.«
»Das kommt, weil du Kundschafterin bist«, sagte Atsula, die Priesterin. »Wenn du stirbst, wirst du in den Himmel fallen und ein Stern werden, um uns weiter zu führen, wie du uns im Leben geführt hast.«
»Im Osten sind Eisfelsen, hohe Wände«, sagte Kaluna, die ihr rabenschwarzes Haar so lang wie ein Mann trug. »Wir können sie erklettern, aber es wird viele Tage dauern.«
»Du wirst uns sicher führen«, sagte Atsula. »Ich werde am Fuße der Felswand sterben, aber das wird das Opfer sein, dass euch in das neue Land bringt.«
Westlich von ihnen, in der Gegend, aus der sie gekommen und wo vor Stunden die Sonne untergegangen war, leuchtete es fahlgelb auf, heller als von Blitzen, heller als das Tageslicht. Es war eine Explosion reiner Grellheit, die die Menschen auf der Landbrücke zwang, die Augen zu bedecken und auszuspucken und in laute Rufe auszubrechen. Die Kinder jammerten.
»Das ist das Verhängnis, vor dem Nunyunnini uns gewarnt hat«, sagte Gugwei, der Alte. »Wahrlich, er ist ein weiser und mächtiger Gott.«
»Er ist der beste aller Götter«, sagte Kalanu. »In unserem neuen Land wollen wir ihn hoch aufstellen, wir wollen seine Stoßzähne und seinen Schädel mit Fischöl und Tierfett einreiben, bis es glänzt, und wir wollen unsere Kinder und unsere Kindeskinder und deren Kinder bis ins siebte Glied lehren, dass Nunyunnini der mächtigste aller Götter ist und niemals vergessen werden soll.«
»Götter sind groß«, sagte Atsula bedächtig, als täte sie ein großes Geheimnis kund. »Doch noch größer ist das Herz. Denn aus unseren Herzen kommen sie, und in unsere Herzen werden sie zurückkehren …«
Und man weiß nicht, wie lange sie mit ihren blasphemischen Reden noch fortgefahren wäre, wären sie nicht auf eine Weise unterbrochen worden, die keinen Einspruch duldete.
Das Getose, das im Westen ausbrach, war so laut, dass die Ohren bluteten und die Menschen eine Zeit lang nichts mehr hören konnten. Vorübergehend geblendet und betäubt, wussten sie doch, dass sie glücklicher waren als die Stämme westlich von ihnen.
»Es ist gut«, sagte Atsula, aber sie konnte die Worte in ihrem Kopf nicht hören.
Atsula starb am Fuß der Felswand, als die Frühlingssonne im Zenit stand. Sie erlebte die Neue Welt nicht mehr, und der Stamm wanderte ohne heilige Frau in dieses Land.
Sie überwanden die Felsen und wanderten nach Süden und nach Westen, bis sie ein Tal mit frischem Wasser fanden, mit Flüssen, in denen es von silbrigen Fischen wimmelte, und Hirschen und Rehen, die noch nie einen Menschen gesehen hatten und so zahm waren, dass man genötigt war, auszuspucken und ihre Geister um Entschuldigung zu bitten, bevor man sie tötete.
Dalani gebar drei Jungen, und einige sagten, Kalanu habe den großen Zauber vollbracht und wäre imstande, mit ihrer Braut das zu tun, was Männer tun; andere
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