American Gods
wobei sein einziges Ziel darin bestand, niemanden, der zufällig hereinschauen sollte, die Münze sehen zu lassen. Er vertrieb sich die Zeit. Er fühlte sich taub.
Er vermisste Wednesday, jetzt in diesem Moment, plötzlich und heftig. Er vermisste das Selbstvertrauen des Mannes, seine Einstellung. Seine Überzeugung.
Er öffnete die Hand und betrachtete Lady Liberty, ihr Silberprofil. Er schloss die Finger über der Münze und hielt sie ganz fest. Er fragte sich, ob er ausersehen war, zu denen zu gehören, die eine lebenslängliche Strafe für etwas erhielten, was sie gar nicht getan hatten. Wenn er es überhaupt bis dahin schaffte. Nach dem, was er von Mr. World und Mr. Town gesehen hatte, hätten die kaum Schwierigkeiten, ihn vollständig aus dem Verkehr zu ziehen. Vielleicht würde er auf dem Weg in die nächste Verwahrstation einen bedauerlichen Unfall erleiden. Er könnte auf der Flucht erschossen werden. So unwahrscheinlich erschien ihm das nicht.
Auf der anderen Seite der Glastür entstand rege Aktivität. Officer Liz kam zurück ins Zimmer. Sie drückte auf einen Knopf, eine Tür, die Shadow nicht sehen konnte, öffnete sich, und ein schwarzer Hilfssheriff in brauner Uniform trat ein und schritt forsch herüber zum Schalter.
Shadow ließ die Dollarmünze zurück in die Socke schlüpfen.
Der neue Hilfssheriff überreichte einige Papiere, die von Liz überflogen und unterschrieben wurden. Chad Mulligan kam herein, sagte ein paar Worte zu dem Neuankömmling, dann schloss er die Zellentür auf und trat herein.
»Okay. Sie werden abgeholt. Scheint, als würde die nationale Sicherheit bei Ihrem Fall mit reinspielen. Wussten Sie das?«
»Das wird eine schöne Schlagzeile für die Lakeside News geben«, sagte Shadow.
Chad sah ihn ausdruckslos an. »Dass ein Betrüger wegen Verstoßes gegen die Bewährungsauflagen verhaftet wurde? Keine so aufregende Geschichte.«
»Das ist also die Sachlage?«
»So wird sie mir beschrieben«, sagte Chad Mulligan. Shadow streckte die Hände nach vorn, und diesmal legte Chad ihm die Handschellen an. Er versah ihn auch mit den Fußfesseln sowie einer Stange, die Handschellen und Fußfesseln miteinander verband.
Sie bringen mich nach draußen, dachte Shadow, vielleicht kann ich dabei ja versuchen abzuhauen – gefesselt und in dünnen orangefarbenen Klamotten hinaus in den Schnee, aber noch während er das dachte, war ihm gleichzeitig klar, wie dumm und aussichtslos das wäre.
Chad führte ihn hinaus ins Büro. Liz hatte inzwischen den Fernseher abgestellt. Der schwarze Hilfssheriff musterte Shadow. »Der ist ein ganz schöner Brocken«, sagte er zu Chad. Liz überreichte dem auswärtigen Beamten die Papiertüte mit Shadows Habseligkeiten, worauf jener den Empfang quittierte.
Chad sah Shadow an, dann den Hilfssheriff. Leise, aber laut genug, dass Shadow es hören konnte, sagte er zu dem Hilfssheriff: »Also gut, ich möchte nur noch mal betonen, dass ich mit der Art und Weise, wie das hier abläuft, nicht sonderlich glücklich bin.«
Der Hilfssheriff nickte. »Das müssen Sie bei den zuständigen Verantwortlichen vorbringen, Sir. Unser Job besteht allein darin, ihn einzuliefern.«
Chad machte ein angesäuertes Gesicht. »Okay«, sagte er, und an Shadow gerichtet: »Durch diese Tür und zur Ausfallschleuse.«
»Zur was?«
»Da draußen. Wo der Wagen ist.«
Liz entriegelte die Türen. »Sorgen Sie bitte dafür, dass die orange Uniform wieder hierher zurückkommt«, sagte sie zu dem Hilfssheriff. »Beim letzten Straftäter, den wir nach Lafayette geschickt haben, haben wir die Uniform nie wieder gesehen. Kostet alles Geld, das der Bezirk bezahlen muss.« Sie führten Shadow hinaus in die Ausfahrtsschleuse, wo ein im Leerlauf laufender Wagen stand. Es war kein Sheriffsamtswagen. Es war eine schwarze Limousine. Ein zweiter Hilfssheriff, ein grauhaariger Weißer mit Schnäuzer, stand rauchend daneben. Er trat die Zigarette aus, als sie herankamen, und öffnete die hintere Tür für Shadow.
Durch die Fesseln in seiner Bewegungsfreiheit arg eingeschränkt, hatte Shadow einige Mühe beim Einsteigen. Es gab kein Gitter zwischen Fahrersitz und Rückbank des Wagens.
Die beiden Hilfssheriffs stiegen vorn ein. Der Schwarze ließ den Motor an. Sie warteten darauf, dass die Schleusentür sich öffnete.
»Na komm, mach schon«, sagte der schwarze Hilfssheriff und trommelte mit den Fingern aufs Lenkrad.
Chad Mulligan klopfte ans Seitenfenster. Der weiße Hilfssheriff sah kurz den
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