American Gods
würde sich überhaupt dafür interessieren.
Für eine Weile herrschte Stille an diesem Ort. Dann räusperte sich aus dem Schatten eine Stimme, die nicht Mr. World gehörte, und sagte: »Ein viel versprechender Anfang.«
18
Sie haben versucht, sich von den Soldaten fern zu halten, aber die Männer eröffneten das Feuer und töteten sie beide. Das Lied erzählt also was Falsches über das Gefängnis, macht die Sache aber dichterischer. In der Dichtung sind die Dinge nicht immer SO , wie sie wirklich sind. Dichtung hat nichts mit Wahrheit zu tun. Dafür reicht der Platz in den Strophen einfach nicht.
– Kommentar eines Sängers zu
›The Ballad of Sam Bass‹,
aus: A Treasury of American Folklore
Nichts von dem, was hier berichtet wird, kann es wirklich geben. Man fasse das Ganze metaphorisch auf, wenn einem dabei wohler ist. Schließlich ist Religion per definitionem etwas Bildhaftes: Gott ist ein Traum, eine Hoffnung, eine Frau, ein Ironiker, ein Vater, eine Stadt, ein Haus mit vielen Zimmern, ein Uhrmacher, der seinen preisgekrönten Chronometer in der Wüste hat liegen lassen, jemand, der dich liebt – und selbst wenn aller Anschein dagegen spricht, unter Umständen auch ein himmlisches Wesen, dessen einziges Interesse darin besteht, die Fußballmannschaft, die Armee, das Geschäft von einem blühen und gedeihen und über alle Gegner und Konkurrenten triumphieren zu lassen.
Die Religion ist ein Ort, wo man steht, sich umsieht und handelt, ein Aussichtspunkt, von dem aus man die Welt überblickt.
In Wirklichkeit geschieht also nichts von alledem. Solche Dinge gibt es eben nicht. Kein Wort ist im buchstäblichen Sinne wahr. Davon abgesehen, lief das nächste Ereignis folgendermaßen ab:
Am Fuße des Lookout Mountain waren Männer und Frauen im Regen um ein kleines Feuer versammelt. Sie standen unter den Bäumen, die kaum Schutz boten, und waren sich uneins.
Die Dame Kali, die mit der tintenschwarzen Haut und den weißen, scharfen Zähnen, sagte: »Es ist an der Zeit.«
Anansi, der mit den zitronengelben Handschuhen und dem ergrauenden Haar, schüttelte den Kopf. »Wir können warten«, sagte er. »Und wenn wir warten können, sollten wir auch warten.«
Unter den anderen erhob sich ablehnendes Gemurmel.
»Nein, hört zu. Er hat Recht«, sagte ein alter Mann mit eisengrauem Haar: Tschernibog. Er trug einen kleinen Vorschlaghammer bei sich, dessen Kopf an seiner Schulter lehnte. »Sie haben den Vorteil des höheren Geländes. Das Wetter ist gegen uns. Es wäre Wahnsinn, jetzt anzufangen.«
Etwas, das ein wenig einem Wolf ähnelte, ein wenig mehr aber einem Menschen, grunzte und spuckte auf den Waldboden. »Wann wäre es denn günstiger, lozuschlagen, Djeduschka ? Sollen wir warten, bis es sich aufklart, und etwa dann angreifen, wenn sie es erwarten? Ich sage, gehen wir jetzt. Ich sage, marschieren wir los.«
»Es sind Wolken zwischen ihnen und uns«, gab Isten, einer der Madjaren, zu bedenken. Er hatte einen prächtigen schwarzen Schnauzbart, einen großen, verstaubten schwarzen Hut und das Grinsen eines Mannes, der seinen Lebensunterhalt damit bestritt, älteren Mitbürgern Aluminiumverkleidungen, neue Dächer und Regenrinnen zu verkaufen, der jedoch regelmäßig die Stadt bereits verlassen hatte, wenn die Bauaufsichtsbehörde angerückt kam.
Ein Mann in einem eleganten Anzug, der bislang geschwiegen hatte, legte die Hände zusammen, trat in den Schein des Feuers und trug seine Ansicht in prägnanten Worten vor. Einige Zuhörer nickten und murmelten Zustimmung.
Mit einer Stimme meldeten sich die drei Kriegerfrauen, die gemeinsam die Morrigan bildeten und im Schatten so dicht beisammenstanden, dass sie wie ein Ensemble aus blau tätowierten Gliedmaßen und baumelnden Krähenflügeln wirkten. Sie sagte: »Es kommt nicht darauf an, ob jetzt ein guter oder ein schlechter Augenblick ist. Es ist der Augenblick. Die haben unsere Leute umgebracht. Es ist besser, zusammen zu sterben, in der Schlacht und so, wie es Göttern eben geziemt, als allein auf der Flucht und wie eine Ratte im Keller.«
Neuerliches Murmeln, diesmal Zustimmung aus tiefstem Herzen. Sie hatte für alle gesprochen. Es war der Augenblick.
»Der erste Kopf gehört mir«, sagte ein sehr großer Chinese, der ein Band mit winzigen Schädeln um den Hals trug. Er begann den Hügel hinaufzusteigen, langsam und mit konzentrierter Aufmerksamkeit, wobei er einen Stock über der Schulter trug, von dessen Ende wie ein silberner Mond eine
Weitere Kostenlose Bücher