American Gods
ich diese Schlampe in L. A. erledigt habe, hab ich …« Er brach ab, verzog das Gesicht und schien nicht weitersprechen zu mögen.
»Seitdem haben Sie Kummer?«
»Ja. Gutes Wort. Kummer. Wie Liebeskummer. Lustig. Ja.«
»Und was genau macht Ihnen Kummer?«
»Na ja, wir kämpfen, wir gewinnen.«
»Und das ist Ihnen eine Quelle des Kummers? Ich persönlich sehe darin Grund für Jubel, Trubel, Heiterkeit.«
»Aber. Die sterben sowieso aus. Das sind Wandertauben und Beutelwölfe. Ja? Wen kümmert’s also? Aber so wird das ein Blutbad.«
»Ach so.« Mr. World nickte.
Er konnte ihm also folgen. Das war gut. Der dicke Junge fuhr fort: »Also, ich bin nicht der Einzige, der so denkt. Ich hab mich mit der Truppe von Radio Modern kurzgeschlossen, und die sind auch alle dafür, die Sache friedlich zu regeln; und die Immateriellen sprechen sich mehr oder weniger dafür aus, einfach alles den Gesetzen des Marktes zu überlassen. Ich bin hier. Also. Sozusagen nur die Stimme der Vernunft.«
»In der Tat. Leider liegen aber Informationen vor, über die Sie nicht verfügen.« Das Lächeln, das folgte, war verzerrt und narbengezeichnet.
Der Junge blinzelte. »Mister World?«, sagte er. »Was ist eigentlich mit Ihren Lippen passiert?«
World seufzte. »Um die Wahrheit zu sagen«, sagte er, »jemand hat sie mir mal zusammengenäht. Ist lange her.«
»Wow«, sagte der dicke Junge. »Beinharte Omertà -Kiste.«
»Ja. Sie wollen also wissen, worauf wir warten? Warum wir nicht letzte Nacht losgeschlagen haben?«
Der dicke Junge nickte. Er schwitzte, aber es war kalter Schweiß.
»Wir haben noch nicht losgeschlagen, weil wir auf einen Stock warten.«
»Einen Stock?«
»Richtig. Einen Stock. Und wissen Sie, was ich mit diesem Stock machen werde?«
Kopfschütteln. »Okay. Ich passe. Was denn?«
»Ich könnte es Ihnen verraten«, sagte Mr. World nüchtern. »Aber dann müsste ich Sie töten.« Er zwinkerte, und die Spannung im Zimmer löste sich auf.
Der dicke Junge begann zu kichern, ein tiefes, schnaufendes Lachen hinten in der Kehle und in der Nase. »Okay«, sagte er. » Hi. Hi. Okay. Hi. Hab verstanden. Botschaft ist angekommen auf dem Planeten Technik. Laut und deutlich. Freine heitere Wagen.«
Mr. World schüttelte den Kopf. Er legte dem dicken Jungen eine Hand auf die Schulter. »He«, sagte er. »Wollen Sie’s wirklich wissen?«
»Klar.«
»Tja«, sagte Mr. World, »da wir ja Freunde sind, hier also die Antwort: Ich werde den Stock nehmen und ihn über die Armeen werfen, sobald sie aufeinander treffen. Er wird sich, wenn ich ihn werfe, in einen Speer verwandeln. Und dann, während der Speer einen Bogen über der Schlacht beschreibt, werde ich rufen: ›Ich widme diese Schlacht dem Odin.‹«
»Hä?«, sagte der dicke Junge. »Und warum?«
»Macht«, sagte Mr. World. Er kratzte sich am Kinn. »Und Nahrung. Eine Kombination von beidem. Es ist so: Der Ausgang der Schlacht ist unwichtig. Worauf es ankommt, ist das Chaos und das Gemetzel.«
»Das kapier ich nicht.«
»Ich werd’s Ihnen zeigen. Es wird folgendermaßen gehen«, sagte Mr. World. »Passen Sie auf.« Er holte ein Jagdmesser mit Holzklinge aus der Tasche seines Burberry, stieß es ansatzlos in das weiche Fleisch unter dem Kinn des dicken Jungen und drückte es fest nach oben in Richtung Gehirn. »Diesen Tod widme ich Odin«, sagte er, während die Klinge durchs Fleisch schnitt.
Auf seine Hand strömte eine Flüssigkeit, die man nicht als Blut bezeichnen konnte, und hinter den Augen des dicken Jungen gab es knisternd Funken sprühende Geräusche. Der Geruch, der in der Luft lag, erinnerte an durchgeschmorten Isolierdraht.
Die Hand des dicken Jungen zuckte krampfartig, und dann stürzte er zu Boden. Sein Gesicht drückte Verwirrung und Qual aus. »Nun guck ihn dir an«, sagte Mr. World leutselig. »Er sieht aus, als hätte sich soeben eine Sequenz von Nullen und Einsen vor seinen Augen in eine bunte Vogelschar verwandelt und wäre weggeflogen.«
Es kam keine Antwort vom Boden des Felskorridors.
Mr. World hob sich den leblosen Körper, als würde dieser kaum etwas wiegen, auf die Schulter, öffnete das Kobolddiorama, legte den dicken Jungen neben dem Destillierapparat ab und breitete dessen langen schwarzen Regenmantel über ihn aus. Er würde ihn am Abend beseitigen, ein Gedanke, bei dem er grinsend den narbigen Mund verzog: Eine Leiche auf einem Schlachtfeld zu verstecken, das war fast schon allzu einfach. Niemand würde es je bemerken. Niemand
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