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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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gebogene Klinge ragte.
     
    Selbst das Nichts kann nicht ewig währen.
    Er mochte zehn Minuten dort im Nirgendwo gewesen sein oder auch zehntausend Jahre. Es war gleichgültig: Zeit war eine Vorstellung, die er nicht länger benötigte.
    Er konnte sich nicht mehr an seinen richtigen Namen erinnern. Er fühlte sich leer und rein an jenem Ort, der kein Ort war.
    Er war gestaltlos und nichtig.
    Er war nichts.
    Und in dieses Nichts hinein sagte eine Stimme: »Ho-hoka, Vetter. Wir müssen uns unterhalten.«
    Und etwas, das einst Shadow gewesen sein mochte, sagte: »Whiskey Jack?«
    »Yeah«, sagte Whiskey Jack in der Dunkelheit. »Du bist verdammt schwer aufzuspüren, wenn du tot bist. Du bist nirgendwo gewesen, wo ich dich erwartet hätte. Ich musste überall suchen, bis ich draufgekommen bin, mal hier nachzusehen. Erzähl, hast du deinen Stamm gefunden?«
    Shadow erinnerte sich an den Mann und das Mädchen unter der sich drehenden Diskokugel. »Ich glaube, ich habe meine Familie gefunden. Aber meinen Stamm, nein, den habe ich nicht gefunden.«
    »Tut mir Leid, dass ich dich aufscheuchen muss.«
    »Lass gut sein. Ich habe bekommen, was ich wollte. Ich bin mit allem durch.«
    »Sie kommen dich holen«, sagte Whiskey Jack. »Sie werden dich wieder beleben.«
    »Aber ich bin fertig«, sagte Shadow. »Es war alles vorbei und erledigt.«
    »Keineswegs«, sagte Whiskey Jack. »Nichts dergleichen. Gehen wir zu mir. Möchtest du ein Bier?«
    Eigentlich gab es dagegen wenig einzuwenden. »Klar.«
    »Bring mir auch eins mit. Draußen steht ’ne Kühltasche«, sagte Whiskey Jack und zeigte zur Tür. Sie befanden sich in seiner Hütte.
    Shadow öffnete die Tür mit Händen, die er Augenblicke zuvor noch nicht besessen hatte. Da draußen stand eine mit Eisklumpen aus dem Fluss gefüllte Plastikkühltasche, und zwischen dem Eis lag ein Dutzend Dosen Budweiser. Er zog zwei Bierdosen heraus, setzte sich damit auf die Türschwelle und blickte hinaus über das Tal.
    Sie waren oben auf einem Hügel, in der Nähe eines von Schnee und Schmelzwasser angeschwollenen Wasserfalls. Das Wasser fiel in Kaskaden etwa zwanzig Meter nach unten, vielleicht auch dreißig. Die Sonne spiegelte sich in dem Eis, das die über das Wasserfallbecken hinausragenden Bäume bedeckte.
    »Wo sind wir?«, fragte Shadow.
    »Wo du letztes Mal auch warst«, sagte Whiskey Jack. »Bei mir zu Hause. Hast du die Absicht, mein Bier festzuhalten, bis es warm ist?«
    Shadow stand auf und reichte ihm die Bierdose. »Du hattest keinen Wasserfall vor dem Haus, als ich das letzte Mal hier war«, sagte er.
    Whiskey Jack sagte nichts darauf. Er riss den Verschluss auf und nahm sich Zeit für einen langen Schluck, mit dem er die halbe Dose leerte. Dann sagte er: »Erinnerst du dich an meinen Neffen? Henry Bluejay? Den Dichter? Er hat seinen Buick gegen euren Winnebago eingetauscht. Weißt du noch?«
    »Klar doch. Ich wusste allerdings nicht, dass er Dichter war.«
    Whiskey Jack reckte das Kinn und blickte stolz drein. »Der beste verdammte Dichter in Amerika«, sagte er.
    Er schluckte den restlichen Inhalt der Bierdose weg, rülpste und holte sich eine neue, während Shadow jetzt erst seine Dose aufmachte, und dann saßen die beiden Männer draußen in der Morgensonne auf dem Felsstein zwischen dem blassgrünen Farnkraut, blickten auf das hinabstürzende Wasser und tranken ihr Bier. Es lag noch Schnee an den Stellen, wo der Schatten nie verschwand.
    Der Boden war nass und matschig.
    »Henry war Diabetiker«, fuhr Whiskey Jack fort. »Das kommt vor. Viel zu oft. Ihr Leute seid nach Amerika gekommen, ihr habt unser Zuckerrohr, unseren Mais und unsere Kartoffeln genommen, und jetzt verkauft ihr uns Kartoffelchips und Karamell-Popcorn, und wir sind diejenigen, die davon krank werden.« Nachdenklich schlürfte er sein Bier. »Er hat ein paar Preise mit seiner Dichterei gewonnen. In Minnesota gab es Leute, die ein Buch aus seinen Gedichten machen wollten. Er ist in einem Sportwagen hingefahren, um mit denen zu reden. Er hatte deinen ’Bago gegen einen gelben Mazda-Roadster eingetauscht. Die Ärzte glauben, dass er während der Fahrt ins Koma gefallen und von der Straße abgekommen ist und den Wagen gegen eins von euren Straßenschildern gefahren hat. Zu faul, um zu gucken, wo ihr seid, um die Berge und die Wolken zu lesen, müsst ihr überall Straßenschilder hinstellen. Und so ist Henry Bluejay für immer fortgegangen, lebt jetzt bei Bruder Wolf. Und da hab ich mir gesagt, dort hält

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