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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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dann ließ er sich ein Bad ein und schüttete sämtliche vom Motel zur Verfügung gestellten kleinen Shampoofläschchen ins Wasser, damit es ordentlich schäumte.
    Er war zu groß, um ausgestreckt in der Wanne liegen zu können, also ließ er es sich nach besten Kräften im Sitzen wohl sein. Shadow hatte sich ein heißes Bad versprochen, wenn er aus dem Gefängnis kommen würde, und Shadow hielt seine Versprechen.
    Nicht lange nachdem er aus dem Bad gestiegen war, traf die Pizza ein. Shadow verspeiste sie und spülte mit einer Dose Rootbeer nach.
    Shadow lag im Bett und dachte: Das ist mein erstes Bett in Freiheit , aber dieser Gedanke bereitete ihm weniger Genugtuung, als er sich vorgestellt hatte. Er ließ die Vorhänge offen, beobachtete die Lichter der Autos und Fastfood-Restaurants durchs Fenster und tröstete sich mit der Gewissheit, dass dort draußen eine andere Welt war, die er jederzeit aufsuchen konnte, wenn er wollte.
    Er könnte jetzt in seinem Bett zu Hause liegen, dachte Shadow, in der Wohnung, die er mit Laura geteilt hatte – im Bett, das er mit Laura geteilt hatte. Aber die Vorstellung, ohne sie dort zu sein, von ihren Sachen umgeben, ihrem Duft, ihrem Leben, die war einfach zu quälend …
    Geh nicht hin , dachte Shadow. Er beschloss, an etwas anderes zu denken. Er dachte an Münzentricks. Shadow wusste, dass ihm die Art von Persönlichkeit abging, die ein Zauberer besitzen musste: Er konnte die Geschichten nicht ausspinnen, die so nötig waren, um die Zuschauer einzuwickeln; auch hatte er nicht den Wunsch, Kartentricks vorzuführen oder Papierblumen aus dem Nichts erscheinen zu lassen. Er wollte einfach nur Münzen manipulieren, ihm gefiel das Handwerkliche daran. Er begann die Münzenverschwindetricks aufzulisten, die er beherrschte, und das erinnerte ihn an die Münze, die er in Lauras Grab geworfen hatte, und daraufhin hörte er Audrey sagen, dass Laura mit Robbies Schwanz im Mund gestorben sei, und das gab ihm erneut einen kleinen Stich ins Herz.
    Jede Stunde eine Wunde. Die letzte ist tödlich. Wo hatte er das gehört?
    Er dachte an Wednesdays Kommentar über den Umgang mit Gefühlen und musste gegen seinen Willen lächeln: Shadow hatte allzu oft sagen hören, man solle seine Gefühle nicht unterdrücken, man solle seine Emotionen raus- und den Schmerz zulassen. Shadow fand, dass einiges dafür sprach, die Gefühle unter Verschluss zu halten. Wenn man es nur lange genug und gründlich genug tat, vermutete er, würde man recht bald gar nichts mehr fühlen.
    Dann nahm ihn, ohne dass er es merkte, der Schlaf gefangen.
    Er war unterwegs, er ging …
    Er ging durch einen Raum, der größer als eine Stadt war, und wo er auch hinblickte, sah er Statuen und Skulpturen und grobschlächtige Bilder. Er stand neben der Statue einer frauenartigen Gestalt: Ihre nackten Brüste hingen flach und baumelnd am Brustkorb herab, um die Taille trug sie eine Kette mit abgetrennten Händen, in den eigenen Händen hielt sie scharfe Messer, und an Stelle eines Kopfes wuchsen ihr zwei Schlangen aus dem Hals, die Leiber gebogen, einander zugewandt, zum Angriff bereit. Es war etwas zutiefst Verstörendes an dieser Statue, etwas grundsätzlich und schreiend Verkehrtes. Shadow machte, dass er weiterkam.
    Er wanderte durch die Halle. Die gemeißelten Augen aller Statuen, sofern sie Augen besaßen, schienen jeden seiner Schritte zu verfolgen.
    In seinem Traum erkannte er, dass im Boden vor jeder Statue ein Name brannte. Der Mann mit dem weißen Haar, dem Halsband aus Zähnen, der Trommel in den Händen, war Leucetios ; die breithüftige Frau, aus deren riesiger Spalte zwischen den Beinen Ungeheuer fielen, war Hubur ; der Mann mit dem Widderkopf, der eine goldene Kugel trug, war Herischef .
    Eine klare und pedantische Stimme sprach zu ihm, aber er konnte niemanden sehen.
    »Dies sind Götter, die man vergessen hat und die daher so gut wie tot sind. Man findet sie nur noch in trockenen Geschichtsbüchern. Sie sind verschwunden, alle verschwunden, aber ihre Namen und ihre Bilder bleiben uns.«
    Shadow bog um eine Ecke und wusste gleich, dass er in einem anderen Raum war, größer noch als der erste. Er reichte weiter, als das Auge sehen konnte. Shadow stand vor einem Mammutschädel, braun und glänzend, und einem behaarten, ockerfarbenen Umhang, der von einer kleinen Frau mit missgestalteter linker Hand getragen wurde. Gleich daneben drei Frauen, alle aus demselben Granitfels gemeißelt, die an den Hüften zusammenflossen;

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