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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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begriff Shadow – sie war bis zum Filter heruntergebrannt. Laura schien es nicht bemerkt zu haben.
    »Was machst du hier, Laura?«
    »Darf eine Frau etwa nicht ihren Mann besuchen?«
    »Du bist tot. Ich war heute Nachmittag bei deiner Beerdigung.«
    »Ja.« Sie verstummte und starrte ins Nichts. Shadow erhob sich und ging zu ihr hin. Er nahm ihr den glimmenden Zigarettenstummel aus der Hand und warf ihn aus dem Fenster.
    »Nun?«
    Sie suchte seinen Blick. »Ich weiß jetzt auch nicht viel mehr als vorher, als ich noch lebte. Und das meiste von dem, was ich jetzt mehr weiß als vorher, das kann ich nicht in Worte fassen.«
    »Normalerweise bleiben Leute, die gestorben sind, in ihren Gräbern«, sagte Shadow.
    »Ist das so? Tun sie das wirklich, Hündchen? Ich habe das auch immer geglaubt. Jetzt bin ich mir da aber nicht mehr so sicher. Vielleicht.« Sie stieg aus dem Bett und ging zum Fenster. Im Licht des Motelschilds war ihr Gesicht so schön wie eh und je. Das Gesicht der Frau, für die er ins Gefängnis gegangen war.
    Das Herz schmerzte ihm in der Brust, als würde es jemand in der Faust zusammendrücken. »Laura …?«
    Sie sah ihn nicht an. »Du hast dich auf ein paar üble Sachen eingelassen, Shadow. Du wirst großen Mist bauen, wenn nicht jemand auf dich aufpasst. Und dieser Jemand werde ich sein; ich passe auf dich auf. Und danke für dein Geschenk.«
    »Welches Geschenk?«
    Sie fasste in die Tasche ihrer Bluse und zog die Goldmünze heraus, die er zu einem früheren Zeitpunkt des Tages in ihr Grab geworfen hatte. Es haftete immer noch schwarze Erde daran. »Vielleicht lass ich sie mir an eine Kette machen. Das war sehr lieb von dir.«
    »Keine Ursache.«
    Sie wandte sich jetzt um und blickte ihn mit Augen an, die ihn sowohl zu sehen als auch zu übersehen schienen. »Ich glaube, es gibt verschiedene Aspekte unserer Ehe, an denen wir werden arbeiten müssen.«
    »Kleines«, sagte er zu ihr. »Du bist tot.«
    »Das ist natürlich einer der Aspekte.« Sie schwieg. »Okay«, sagte sie dann. »Ich gehe jetzt. Es ist besser, wenn ich gehe.« Und völlig natürlich und ungezwungen drehte sie sich um, legte Shadow die Hände auf die Schultern und stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihm einen Abschiedskuss zu geben, ganz so, wie sie ihn immer zum Abschied geküsst hatte.
    Befangen beugte er sich hinab, um sie auf die Wange zu küssen, aber sie drehte im gleichen Moment das Gesicht und drückte ihm die Lippen auf den Mund. Ihr Atem roch leicht nach Mottenkugeln.
    Lauras Zunge schnellte in Shadows Mund hinein. Sie war kalt und trocken, schmeckte nach Zigaretten und Gallenflüssigkeit. Sofern Shadow noch irgendwelche Zweifel gehegt hatte, ob seine Frau nun tot war oder nicht, waren diese jetzt ausgeräumt.
    Er fuhr zurück.
    »Ich liebe dich«, sagte sie schlicht. »Ich werde mich um dich kümmern.« Sie ging zur Tür. Er hatte einen seltsamen Geschmack im Mund. »Schlaf ein bisschen, Hündchen«, sagte sie zu ihm. »Und bring dich nicht in Schwierigkeiten.«
    Sie öffnete die Tür. Das Neonlicht im Flur war nicht sehr schmeichelhaft – Laura sah darin wie eine Tote aus, aber andererseits galt das im Grunde ja für alle Leute.
    »Du hättest mich bitten können, über Nacht zu bleiben«, sagte sie mit ihrer ausdruckslosen Stimme.
    »Nein, lieber nicht«, sagte Shadow.
    »Das kommt noch, Schatz«, sagte sie. »Noch bevor das alles hier vorbei ist, wirst du es tun.« Sie wandte sich ab und ging den Flur hinunter.
    Shadow sah durch die Tür. Der Nachtportier las unverändert in seinem John Grisham und blickte kaum auf, als sie an ihm vorbeiging. Dicke Klumpen Friedhofserde hafteten an ihren Schuhen. Und dann war sie verschwunden.
    Als Shadow endlich ausatmete, kam es wie ein lang gezogenes Seufzen. Sein Herz pochte arhythmisch. Er ging durch den Flur und klopfte bei Wednesday an die Tür. Noch während er das tat, überfiel ihn die überaus bizarre Vorstellung, von schwarzen Flügeln geschüttelt zu werden, als würde eine gewaltige Krähe durch ihn hindurchfliegen, in den Flur hinaus und weiter in die Welt dahinter.
    Wednesday öffnete. Er hatte ein weißes Motelhandtuch um die Hüften geschlungen, war aber sonst nackt. »Was zum Teufel wollen Sie?«, sagte er.
    »Es geht um etwas, was Sie wissen sollten«, sagte Shadow. »Vielleicht war es ein Traum – aber das war es nicht –, oder vielleicht habe ich zu viel synthetischen Krötenhautrauch von dem dicken Jungen eingeatmet, oder wahrscheinlich werde ich einfach

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