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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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zugefrorenen See standen keine Eisfischerhütten mehr, keine Fahrzeuge, niemand saß mehr mit seiner Schnur und einem Zwölferpack Bier an irgendwelche Angellöchern. Der See lag dunkel vor ihm: nicht länger von einer durchgehend weißen Schneeschicht bedeckt, stattdessen standen jetzt spiegelnde Wasserpfützen auf der Eisoberfläche; darunter war das Wasser schwarz, und das Eis selbst klar genug, dass die Dunkelheit durchschien. Der Himmel war grau, der eisige See aber düster und leer.
    Fast leer.
    Ein einziges Auto stand noch auf dem Eis, ganz in der Nähe der Brücke auf dem zugefrorenen See abgestellt, sodass jeder, der durch die Stadt fuhr, es unweigerlich zu sehen bekam. Es war ein schmutziggrünes Auto, eines von der Sorte, das man einfach auf irgendeinem Parkplatz stehen lässt, um es loszuwerden. Den Motor hatte man entfernt. Es war das Symbol einer Wette, das dort wartete, bis das Eis so brüchig und weich und gefährlich wurde, dass der See es für immer in sich aufnahm.
    Über die kurze Zufahrt zum See hing eine Kette, und ein Warnschild untersagte jeden Zutritt: ACHTUNG, DÜNNES EIS. Unter der Aufschrift war eine handgemalte Folge von jeweils durchgestrichenen Piktogrammen zu sehen: KEINE AUTOS, KEINE FUSSGÄNGER, KEINE SCHNEEMOBILE. GEFAHR.
    Shadow ignorierte die Warnungen und kletterte die Uferböschung hinunter. Es war rutschig – der Schnee war bereits geschmolzen, hatte den Boden in Matsch verwandelt, und das braune Gras bot kaum Halt. Er schlitterte zum See hinunter, schritt vorsichtig auf einen kurzen Holzsteg hinaus und betrat von dort aus den See.
    Die Wasserschicht auf dem Eis, zusammengesetzt aus geschmolzenem Eis und geschmolzenem Schnee, war tiefer, als es von oben ausgesehen hatte, und das Eis unter dem Wasser war glatter und rutschiger als jede Eisbahn, sodass Shadow sich große Mühe geben musste, Halt zu finden. Er platschte durch das Wasser, das seine Stiefel bis zu den Schnürsenkeln bedeckte und nach innen sickerte. Eiswasser. Wo es hinkam, wurde alles taub. Er hatte ein seltsam distanziertes Gefühl, während er über den gefrorenen See stapfte, so als würde er sich selbst auf einer Kinoleinwand zusehen – in einem Film, dessen Hauptfigur er war: ein Detektiv vielleicht.
    Er ging auf die Rostlaube zu, in dem schmerzhaften Bewusstsein, dass das Eis dafür viel zu mürbe und das Wasser darunter so kalt war, wie Wasser nur sein konnte, ohne zu gefrieren. Dennoch ging er weiter, rutschte und schlitterte. Mehrmals schlug er hin.
    Leere Bierflaschen und – dosen, achtlos auf dem Eis liegen gelassen, säumten seinen Weg, und er kam an runden Löchern vorbei, die man zum Angeln ins Eis gefräst hatte, Löcher, mit schwarzem Wasser gefüllt, die nicht wieder zugefroren waren.
    Die Rostlaube schien weiter entfernt zu sein, als es von der Straße aus den Anschein gehabt hatte. Er hörte von der Südseite her ein lautes Knacken, das wie das Zerbrechen eines Stocks klang, gefolgt von einem mächtigen Schnarren, als würde eine Basssaite, so lang wie der See, vibrieren. Das Eis knarrte und knirschte gewaltig wie eine alte Tür, die sich nur unter Protest bewegen ließ. Shadow ging festen Schrittes immer weiter, so weit es ihm möglich war.
    Das ist glatter Selbstmord, flüsterte die Stimme der Vernunft in seinem Hinterkopf. Kannst du es nicht einfach gut sein lassen?
    »Nein«, sagte er laut. »Ich muss es wissen .« Er ging weiter.
    Er erreichte die Rostlaube, aber noch bevor er ganz da war, wusste er schon, dass er Recht gehabt hatte. Es ging etwas von dem Wagen aus, das einem fauligen Geruch und gleichzeitig einem schlechten Geschmack im Hals glich. Er ging um den Wagen herum und blickte ins Innere. Die Sitze waren fleckig und zerschlissen. Der Wagen war offensichtlich leer. Er versuchte eine der Türen zu öffnen. Sie waren verschlossen. Er probierte den Kofferraum. Ebenfalls verschlossen.
    Hätte er doch eine Brechstange mitgebracht!
    Er ballte seine behandschuhte Hand zur Faust. Er zählte bis drei, dann ließ er sie gegen das Fensterglas auf der Fahrerseite sausen.
    Die Hand tat höllisch weh, aber das Seitenfenster war unversehrt.
    Er erwog, es mit mehr Schwung zu versuchen – sicherlich würde er das Fenster eintreten können, falls er auf dem nassen Eis nicht ausrutschte und auf die Schnauze fiel. Aber das Letzte, was er bewirken wollte, war, die Rostlaube derart in Unruhe zu versetzen, dass das Eis darunter brach.
    Er musterte das Auto. Dann griff er nach der Radioantenne – es

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