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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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war eine von denen, die selbsttätig hoch- und runterfahren sollte, aber diese hier war offensichtlich schon seit Jahrzehnten in der ausgefahrenen Stellung hängen geblieben –, und mit ein bisschen Hinundherbiegen gelang es ihm, sie am unteren Ende abzubrechen. Er nahm das dünne Ende der Antenne – einst hatte es in einem Metallknopf gesteckt, der aber längst abgefallen war – und bog es mit seinen kräftigen Fingern so zurecht, dass er einen gebrauchsfähigen Haken hatte.
    Dann rammte er die ausgezogene Metallantenne zwischen Gummi und Fensterglas der Vordertür hindurch tief in deren Mechanismus hinein. Dort fischte er herum, drehte, bewegte, stocherte mit der Metallantenne, bis sie sich verfing: Und dann zog er sie nach oben.
    Er fühlte, wie der behelfsmäßige Haken von der Verriegelung abrutschte, ohne etwas bewirkt zu haben.
    Er seufzte. Stocherte noch einmal, langsamer, sorgfältiger diesmal. Er konnte sich ausmalen, wie das Eis unter ihm grummelte, wenn er sein Gewicht verlagerte. Und langsam … und …
    Er hatte es. Er zog an der Antenne, und der Verriegelungsmechanismus der Vordertür sprang auf. Shadow fasste mit einer Handschuhhand nach dem Türgriff, drückte den Knopf und zog. Die Tür ging nicht auf.
    Sie klemmt , dachte er, festgefroren. Weiter nichts.
    Auf dem Eis rutschend, zog er weiter, und plötzlich flog die Tür der Rostlaube auf, sodass in alle Richtungen Eissplitter sprühten.
    Im Innern des Autos war der Gestank schlimmer, es roch nach Krankheit und Verwesung. Shadow wurde übel.
    Er griff unter das Armaturenbrett, fand den schwarzen Plastikhebel und zog ihn kräftig nach oben.
    Von hinten ertönte das Knacken, mit dem die Kofferraumklappe aufsprang.
    Shadow ging zurück aufs Eis, rutschte und plantschte um das Auto herum, indem er sich an der Seite festhielt.
    Sie wird versenkt – im Kofferraum, dachte er.
    Die Kofferraumklappe war zwei Fingerbreit geöffnet. Er fasste sie, hob sie hoch und öffnete sie ganz.
    Der Geruch war übel, aber es hätte weit schlimmer sein können: Der Boden des Kofferraums war zwei, drei Zentimeter hoch mit halb geschmolzenem Eis gefüllt. Ein Mädchen lag im Kofferraum. Sie trug einen scharlachroten, mittlerweile befleckten Schneeanzug, ihr mattbraunes Haar war lang und ihr Mund geschlossen, sodass Shadow die blaue Gummizahnspange nicht sehen konnte, aber er wusste, dass sie da war. Die Kälte hatte das Mädchen konserviert, frisch gehalten, als hätte es in der Kühltruhe gelegen.
    Die Augen waren weit geöffnet, offenbar hatte sie geweint, als sie gestorben war, und die auf ihren Wangen festgefrorenen Tränen waren noch nicht wieder aufgetaut.
    »Du warst die ganze Zeit hier«, sagte Shadow zu Alison McGoverns Leiche. »Alle haben dich gesehen, wenn sie über die Brücke gefahren sind. Jede einzelne Person, die hier durch die Stadt gekommen ist, hat dich gesehen. Die Eisfischer sind jeden Tag an dir vorbeigegangen. Und keiner wusste Bescheid.«
    Und dann begriff er, wie töricht das war.
    Es gab jemanden, der Bescheid wusste. Jemand hatte sie hierher gebracht.
    Er beugte sich in den Kofferraum – um zu sehen, ob er sie herausziehen konnte. Dabei drückte sein ganzes Gewicht auf den Wagen. Vielleicht war das der ausschlaggebende Faktor.
    Das Eis unter den Vorderrädern gab in diesem Moment nach, vielleicht von seinen Bewegungen, vielleicht auch nicht. Die Schnauze des Wagens sackte ruckartig in das dunkle Wasser hinab. Durch die offene Fahrertür strömte Wasser ins Innere. Wasser schwappte Shadow um die Füße, obwohl das Eis, auf dem er stand, noch fest war. Er sah sich eilig um und überlegte, wie er hier wegkommen konnte – aber dann war es zu spät, das Eis kippte jäh weg, warf ihn gegen den Wagen und das tote Mädchen im Kofferraum; das Heck des Wagens sank, und Shadow sank mit ihm in die kalten Fluten des Sees hinein. Es war der 23. März, morgens, zehn nach neun.
    Bevor er unterging, holte er noch tief Luft und schloss die Augen, aber die Kälte des Wassers traf ihn wie eine Mauer und verschlug ihm den Atem.
    Er taumelte im trüben Eiswasser abwärts, gezogen von der Rostlaube.
    Er war unter dem See, in der Dunkelheit und Kälte, hinuntergedrückt von seiner Kleidung, seinen Handschuhen und Stiefeln, eingewickelt und gefangen in seinem Mantel, der schwerer und unförmiger zu werden schien, als man es für möglich halten sollte.
    Er sank immer noch weiter. Er versuchte sich vom Auto wegzustoßen, aber es zog ihn mit sich, und dann gab es

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