American Gods
einen Knall, den er weniger mit den Ohren als mit dem ganzen Körper wahrnahm, und sein linker Fuß verdrehte sich im Knöchel, geriet unter den Wagen, als dieser auf dem Boden des Sees aufsetzte. Er war gefangen, Panik ergriff ihn.
Er öffnete die Augen.
Er wusste, dass es dort unten finster war, sein Verstand sagte ihm, dass es zu dunkel war, um irgendwas zu sehen; dennoch konnte er sehen, er sah alles. Er konnte Alison McGoverns weißes Gesicht sehen, das ihn aus dem offenen Kofferraum anstarrte. Auch andere Autos sah er – die Rostlauben vergangener Jahre, verrostete Wrackteile, halb im Schlamm des Seebodens versunken. Was haben sie wohl auf den See gezerrt, fragte sich Shadow, bevor es Autos gab?
Jedes Auto, daran gab es keinen Zweifel, beherbergte ein totes Kind im Kofferraum. Es waren Dutzende … alle hatten sie auf dem Eis gestanden, vor den Augen der Welt, den ganzen kalten Winter hindurch. Alle waren sie in den kalten Fluten versunken, als der Winter zu Ende ging.
Hier also ruhten sie: Lemmi Hautala und Jessie Lovat und Sandy Olsen und Jo Ming und Sarah Lindquist und all die anderen. Unten, wo es still und kalt war …
Er zog an seinem Fuß. Er steckte fest, während der Druck auf die Lunge allmählich unerträglich wurde. Ein stechender, furchtbarer Schmerz befiel seine Ohren. Langsam atmete er aus, Luftblasen schwebten vor seinem Gesicht.
Bald, dachte er, bald werde ich Luft brauchen. Oder ich ersticke.
Er bückte sich, legte beide Hände um die Stoßstange der Rostlaube und drückte, legte alles hinein, was er an Kräften hatte. Nichts passierte.
Es ist nur die Karosserie, sagte er sich. Den Motor haben sie ja rausgenommen. Das war immerhin der schwerste Teil am Auto. Du schaffst es. Drück einfach weiter.
Er drückte.
Quälend langsam, Millimeter um Millimeter, glitt der Wagen im Schlamm vorwärts, und Shadow konnte schließlich den Fuß aus dem Schlamm unter dem Wagen hervorziehen, strampelte und versuchte sich abzustoßen. Er kam nicht weg. Der Mantel, sagte er sich. Es ist der Mantel. Er steckt fest, hat sich irgendwo verfangen. Er zog die Arme aus den Ärmeln und fummelte mit tauben Fingern an dem gefrorenen Reißverschluss. Dann riss er mit beiden Händen an den Seiten des Reißverschlusses, bis er fühlte, wie der Mantel nachgab und zerriss. Hastig befreite er sich aus seiner Umklammerung und stieß sich nach oben ab, weg vom Auto.
Er spürte die Bewegung, hatte aber keine Orientierung, kein Gefühl von oben und unten, er drohte zu ersticken und der Schmerz in Brust und Kopf war nicht mehr zu ertragen, ganz sicher würde er gleich einatmen müssen, im kalten Wasser atmen und also sterben. Und dann stieß er mit dem Kopf gegen etwas Festes.
Eis. Er war gegen das Eis an der Wasseroberfläche gestoßen. Er trommelte mit beiden Fäusten dagegen, aber er hatte keine Kraft mehr in den Armen, hatte nichts, wo er sich festhalten, wo er sich abstützen konnte. Die Welt hatte sich in die frostige Finsternis unter dem Wasserspiegel aufgelöst. Da war nichts mehr als eisige Kälte.
Das ist doch lächerlich, dachte er. Und dann, als er sich an einen alten Tony-Curtis-Film erinnerte, den er als Kind gesehen hatte: Ich sollte mich auf den Rücken drehen, das Eis nach oben drücken und das Gesicht dagegenpressen, um Luft zu kriegen, dann könnte ich wieder atmen, irgendwo ist da Luft, aber er hing nur im Wasser und fror, konnte keinen Muskel mehr bewegen, und gälte es sein Leben: Das aber tat es allerdings.
Die Kälte wurde erträglich. Wurde sogar warm. Und er dachte: Ich sterbe. Diesmal lag Zorn in dem Gedanken, eine tiefe Wut, und er nahm den Schmerz und den Zorn in die Hand und schlug damit um sich, zwang Muskeln zur Aktivität, die bereits jede Aktivität hatten einstellen wollen.
Er drückte mit der Hand nach oben und fühlte, wie sie an der Kante des Eises entlangschrammte und in die Luft hinausstieß. Fuchtelnd suchte er Halt, fühlte eine andere Hand die seine ergreifen – und ziehen.
Er schlug mit dem Kopf gegen das Eis, sein Gesicht schabte an dessen Unterseite entlang, und dann war er mit dem Kopf draußen, an der Luft, er konnte sehen, wie er durch das Loch im Eis emportauchte, und für einen Moment konnte er nichts anderes tun als zu atmen, sich das schwarze Seewasser aus Nase und Mund laufen zu lassen, mit den Augen zu blinzeln, die zunächst nichts anderes wahrnahmen als blendendes Tageslicht und Umrisse, und jemand zog jetzt an ihm, zerrte ihn mit Gewalt aus dem Wasser, redete
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