American Gods
sie wieder aufs Bett klatschte.
»Warum sind Sie hier?«, fragte Sarja Wetschernjaja ihn. Es klang nicht übermäßig freundlich.
»Ich bin hier«, sagte Shadow, »weil vor einiger Zeit, im Dezember, ein junger Mann mit einem alten Gott Dame gespielt und verloren hat.«
Das graue Haar der alten Frau lag in einem straffen Knoten fest auf dem Kopf. Sie schürzte die Lippen. »Kommen Sie morgen wieder«, sagte Sarja Wetschernjaja.
»Das geht nicht«, sagte er schlicht.
»Also meinetwegen, ist ja Ihre Beerdigung. Gut, jetzt setzen Sie sich erst mal hin. Sarja Utrennjaja bringt Ihnen Kaffee. Tschernibog wird bald zurück sein.«
Shadow ging durch den Flur zum Wohnzimmer. Es war genauso, wie er es in Erinnerung hatte, nur dass diesmal das Fenster offen stand. Die graue Katze lag auf der Armlehne des Sofas. Sie öffnete ein Auge, als Shadow hereinkam, schlief dann aber unbeeindruckt weiter.
Hier hatte das Damespiel mit Tschernibog stattgefunden: Hier hatte er sein Leben aufs Spiel gesetzt, um den alten Mann dazu zu bewegen, sich Wednesdays letztem verhängnisvollem Trickbetrug anzuschließen. Frische Luft kam durchs offene Fenster geweht und blies den Mief weg.
Sarja Utrennjaja kam mit einem roten Holztablett herein. Eine kleine emaillierte Tasse mit dampfendem schwarzem Kaffee stand darauf, daneben eine Untertasse mit kleinen Schokoraspel-Keksen. Sie stellte alles vor ihm auf dem Tisch ab.
»Ich bin Sarja Polunotschnaja begegnet«, sagte er. »Sie ist zu mir gekommen, als ich unter der Welt war, und hat mir den Mond gegeben, um meinen Weg zu beleuchten. Sie hat im Gegenzug auch etwas von mir genommen. Ich weiß aber nicht mehr, was.«
»Sie mag Sie«, sagte Sarja Utrennjaja. »Sie träumt immer so viel. Und sie bewacht uns alle. Sie ist so mutig.«
»Wo ist Tschernibog?«
»Der findet, wie er sagt, den Frühjahrsputz ungemütlich. Er geht nach draußen, kauft sich Zeitungen und sitzt im Park. Kauft sich Zigaretten. Vielleicht kommt er heute gar nicht wieder. Sie müssen nicht warten. Gehen Sie doch einfach. Kommen Sie morgen wieder.«
»Ich werde warten«, sagte Shadow. Es war nicht irgendwelche Magie, die ihn dazu zwang, so viel war ihm klar. Es lag allein an ihm. Es war eine letzte Sache, die zu geschehen hatte, und falls es die letzte Sache war, die geschah, nun, dann hatte er sich immerhin aus eigenem Antrieb hinbegeben. Danach würde es keine Verpflichtungen mehr geben, keine Geheimnisse, keine Geister.
Er schlürfte den heißen Kaffee, der so schwarz und süß war, wie er ihn vom ersten Mal her kannte.
Bald darauf hörte er eine tiefe männliche Stimme im Flur und er setzte sich aufrecht. Mit Genugtuung stellte er fest, dass ihm die Hand nicht zitterte. Die Tür ging auf.
»Shadow?«
»Hi«, sagte Shadow. Er blieb sitzen.
Tschernibog trat ins Zimmer. Er hatte eine zusammengefaltete Chicago Sun-Times bei sich, die er auf den Couchtisch legte. Er starrte Shadow zuerst nur an und streckte dann zaghaft die Rechte aus. Die beiden Männer schüttelten sich die Hand.
»Ich bin gekommen«, sagte Shadow. »War unsere Abmachung. Du hast deinen Teil erfüllt. Jetzt kommt mein Teil.«
Tschernibog nickte. Er legte die Stirn in Falten. Das Sonnenlicht glitzerte auf seinem grauen Haar und dem Schnauzbart, sodass beides fast golden schimmerte. »Ist …« Die Furchen auf seiner Stirn wurden noch tiefer. »Ist nicht …« Er brach ab. »Vielleicht solltest du wieder gehen. Ist kein guter Zeitpunkt.«
»Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst«, sagte Shadow. »Ich bin bereit.«
Tschernibog seufzte. »Du bist ein sehr dummer Junge. Weißt du das?«
»Glaub schon.«
»Du bist ein dummer Junge. Aber auf dem Berggipfel hast du etwas sehr Gutes getan.«
»Ich hab getan, was ich tun musste.«
»Gut möglich.«
Tschernibog ging zur alten Holzanrichte hinüber, bückte sich und zog darunter einen Diplomatenkoffer hervor. Er drehte an den Verschlüssen, die daraufhin mit sattem Klicken aufsprangen. Er öffnete den Koffer. Er nahm einen Hammer heraus und wog ihn prüfend. Es schien sich um die kleinere Version eines Vorschlaghammers zu handeln. Der Holzgriff war fleckig.
Dann erhob er sich. »Ich schulde dir viel«, sagte er. »Mehr, als du ahnst. Deinetwegen verändern sich die Dinge. Es herrscht Frühling. Der wahre Frühling.«
»Ich weiß, was ich getan habe«, sagte Shadow. »Ich hatte kaum eine andere Wahl.«
Tschernibog nickte. In seinen Augen lag etwas, das Shadow bei ihm noch nie gesehen zu haben glaubte.
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