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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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hinter Sam her und drückte ihr die Blumen in die Hand. Damit sie sie ihm nicht zurückgeben konnte, rannte er sofort wieder weg.
    Er ging zurück zu seinem Wagen den Hügel hinauf, fuhr los und folgte den Wegweisern nach Chicago. Er hielt sich an die erlaubte Höchstgeschwindigkeit oder blieb knapp darunter.
    Das Letzte, was er noch zu tun hatte, stand bevor.
    Er hatte es nicht eilig.
     
    Die Nacht verbrachte er in einem Motel. Als er am nächsten Morgen aufstand, fiel ihm auf, dass seine Sachen immer noch nach dem Grund des Sees rochen. Er zog sie trotzdem an. Er nahm an, dass er sie nicht mehr lange benötigen würde.
    Shadow bezahlte seine Rechnung. Er fuhr zu dem Sandsteinhaus. Er fand es ohne Schwierigkeiten. Es war kleiner, als er es in Erinnerung hatte.
    Er stieg in gleichmäßigem Tempo die Treppen hoch – nicht zu schnell, weil das nur bedeutet hätte, dass es ihm mit dem Sterben eilig war, und nicht zu langsam, weil das wiederum bedeutet hätte, dass ihn Angst plagte. Jemand hatte das Treppenhaus geputzt: Die schwarzen Mülltüten waren verschwunden. Es roch nicht mehr nach vergammeltem Gemüse, sondern nach dem Chlor von Bleichmitteln.
    Die rot angestrichene Tür im Obergeschoss stand weit offen: Der Geruch vergangener Mahlzeiten hing in der Luft. Shadow hielt kurz inne, dann drückte er den Klingelknopf.
    »Ich komme!«, rief eine Frauenstimme, und gleich darauf kam Sarja Utrennjaja, zwergenhaft und überwältigend blond, aus der Küche und scharwenzelte, während sie die Hände an ihrer Schürze abwischte, auf ihn zu. Sie hatte sich verändert, stellte Shadow fest. Sie sah glücklich aus. Sie trug Rouge auf den Wangen, und ihre alten Augen funkelten. Als sie ihn erblickte, bildete ihr Mund ein großes O, und sie rief: »Shadow? Sie sind zu uns zurückgekommen?« Sie eilte mit ausgestreckten Armen auf ihn zu. Er bückte sich, um sie umarmen zu können, und sie gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Wie schön, Sie zu sehen!«, sagte sie. »Aber jetzt müssen Sie wieder gehen.«
    Shadow betrat die Wohnung. Alle Zimmertüren standen weit offen (naturgemäß mit Ausnahme der von Sarja Polunotschnaja), und auch alle Fenster, die er zu Gesicht bekam, waren geöffnet. Eine sanfte Brise strich unregelmäßig durch den Flur.
    »Sind Sie gerade beim Frühjahrsputz?«, sagte er zu Sarja Utrennjaja.
    »Wir erwarten einen Gast«, erklärte sie ihm. »Sie müssen jetzt wieder gehen. Noch einen schnellen Kaffee zuvor?«
    »Ich bin gekommen, um Tschernibog aufzusuchen«, sagte Shadow. »Die Zeit ist gekommen.«
    Sarja Utrennjaja schüttelte heftig den Kopf. »Nein, nein«, sagte sie. »Suchen Sie ihn nicht auf. Keine gute Idee.«
    »Ich weiß«, sagte Shadow. »Aber wissen Sie, das Einzige, was ich über den Umgang mit Göttern wirklich gelernt habe, ist, dass man eine Vereinbarung, wenn man sie denn schon trifft, auch einhält. Die Götter dürfen gegen die Regeln verstoßen, wann immer es ihnen gefällt. Wir nicht. Selbst wenn ich versuchen würde, einfach zu verschwinden, meine Füße würden mich immer wieder zurücktragen.«
    Sie schob die Unterlippe nach oben und sagte: »Ist wohl wahr. Aber gehen Sie für heute weg. Kommen Sie morgen wieder. Er wird dann fort sein.«
    »Wer ist da?«, rief eine Frauenstimme vom Ende des Flurs her. »Sarja Utrennjaja, mit wem sprichst du? Die Matratze hier, ich schaff’s irgendwie nicht, sie allein zu wenden.«
    Shadow ging den Flur hinunter und sagte: »Guten Morgen, Sarja Wetschernjaja. Kann ich behilflich sein?«, worauf die Frau in dem Zimmer vor Überraschung aufschrie und die Ecke der Matratze, die sie gerade in der Hand hielt, fallen ließ.
    Das Schlafzimmer hatte den Frühjahrsputz wirklich nötig: Dicke Schichten von Staub bedeckten jede Fläche, ob Holz, ob Glas, und unzählige Teilchen schwebten und tanzten in den durchs offene Fenster einfallenden Sonnenstrahlen, aufgescheucht durch gelegentliche Zugluft und das träge Flattern der vergilbten Spitzenvorhänge.
    Er konnte sich noch an das Zimmer erinnern. Es war dasjenige, das Wednesday in jener Nacht bekommen hatte. Bjelbogs Zimmer.
    Sarja Wetschernjaja musterte ihn unsicher. »Die Matratze«, sagte sie. »Sie muss mal gewendet werden.«
    »Kein Problem«, sagte Shadow. Er schnappte sich die Matratze, hob sie mühelos hoch und drehte sie um. Es handelte sich um ein altes Holzbett, weshalb die mit Federn gefüllte Matratze immerhin fast so viel wie ein ausgewachsener Mann wog. Der Staub flog auf und wirbelte umher, als

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