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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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wert.«
    Winterdämmerung stieg herab, und der Nachmittag spielte die Grautonpalette durch. Die Lichter gingen an. Immer noch gaben die Menschen bei Wednesday ihr Geld ab. Plötzlich, wie auf ein Zeichen, das Shadow nicht mitbekommen hatte, ging Wednesday zur Hauswand, entfernte die Außer-Betrieb-Schilder und stapfte über die matschige Straße auf den Parkplatz zu. Shadow wartete einen Moment, dann folgte er ihm.
    Wednesday saß hinten im Wagen. Er hatte den Metallkoffer geöffnet und war dabei, alles was er eingesammelt hatte, planmäßig in ordentlichen Stapeln auf dem Rücksitz auszulegen.
    »Fahren Sie«, sagte er. »Wir wollen zur First Illinois Bank drüben an der State Street.«
    »Die gleiche Vorstellung noch mal?«, fragte Shadow. »Wäre das nicht etwas reichlich übermütig?«
    »Aber nicht doch«, sagte Wednesday. »Wir bringen nur ein bisschen was auf die Bank.«
    Während Shadow fuhr, saß Wednesday auf dem Rücksitz und sortierte: Er zog ganze Bündel von Geldscheinen aus den Einzahlungsbeuteln, ließ die Schecks und Kreditkartenbelege zurück und holte Bargeld aus einigen, aber beileibe nicht allen Briefumschlägen. Er packte das Bargeld in den Metallkoffer. Shadow fuhr bei der Bank vor, hielt aber nicht beim Eingang, sondern fünfzig Meter weiter außerhalb der Reichweite der Kameras. Wednesday stieg aus und schob die Umschläge durch den Briefkastenschlitz. Dann öffnete er die Klappe zum Tag-Nacht-Tresor und schob die grauen Beutel hinein. Er schloss die Klappe wieder und kletterte auf den Beifahrersitz.
    »Fahren Sie zur Interstate 90«, sagte Wednesday. »Folgen Sie den Hinweisschildern nach Westen in Richtung Madison.«
    Shadow fuhr los.
    Wednesday warf noch einen Blick zurück auf die entschwindende Bankfiliale. »So, mein Junge«, sagte er fröhlich. »Das wird zur allgemeinen Verwirrung beitragen. Aber um an das richtig große Geld ranzukommen, muss man diese Aktion an einem Sonntagmorgen, etwa um vier Uhr dreißig, durchziehen, wenn die Clubs und die Bars die Einnahmen von Samstagnacht vorbeibringen. Wenn man die richtige Bank erwischt, den richtigen Mann, der das Geld bringt – der große und ehrliche Typ wird gern genommen, manchmal hat er auch noch ein paar starke Männer dabei, aber die Jungs sind nicht unbedingt die Schlausten –, dann kann man bei geringem Aufwand am Abend eine Viertelmillion Dollar einsacken.«
    »Wenn das Ganze so leicht ist«, sagte Shadow, »wieso machen es dann nicht alle?«
    »Es ist eine nicht gänzlich risikofreie Beschäftigung«, sagte Wednesday, »schon gar nicht morgens um halb fünf.«
    »Sie meinen, die Cops sind da misstrauischer?«
    »Gar nicht mal. Aber die kräftigen Jungs. Da kann es leicht zu unangenehmen Situationen kommen.«
    Er blätterte ein Bündel Fünfziger durch, fügte einen kleineren Stoß Zwanziger hinzu, wog das Ganze in der Hand und reichte es Shadow. »Hier«, sagte er. »Ihr erster Wochenlohn.«
    Shadow steckte das Geld, ohne nachzuzählen, ein. »Das ist es also, was Sie so treiben?«, sagte er. »Als Broterwerb?«
    »Selten. Eigentlich nur, wenn kurzfristig größere Summen benötigt werden. Grundsätzlich hole ich mir mein Geld von Leuten, die es überhaupt nicht merken, dass sie angeschmiert werden, die sich nicht beschweren und die oft sogar Schlange stehen, um sich wieder anschmieren zu lassen.«
    »Dieser Sweeney hat gemeint, Sie wären ein Schwindler.«
    »Da mag er Recht haben. Aber das ist das Wenigste, was ich bin. Und am allerwenigsten das, wofür ich Sie brauche, Shadow.«
     
    Während sie durch die Dunkelheit fuhren, wirbelte Schnee durch den Scheinwerferkegel auf die Windschutzscheibe. Es hatte eine nahezu hypnotische Wirkung.
    »Das hier ist das einzige Land der Welt«, sagte Wednesday in die Stille hinein, »das sich einen Kopf darüber macht, was es ist.«
    »Bitte?«
    »Alle andern wissen, was sie sind. Niemand verspürt je die Notwendigkeit, sich auf die Suche nach dem Herzen Norwegens zu machen. Oder die Seele Mocambiques aufzuspüren. Die wissen, wer sie sind.«
    »Und …?«
    »Hab nur laut gedacht.«
    »Sie sind also schon in vielen Ländern gewesen?«
    Wednesday erwiderte nichts darauf. Shadow warf ihm einen Seitenblick zu. »Nein«, sagte Wednesday seufzend. »Nein, bin ich nicht.«
    Sie hielten, um zu tanken, und Wednesday ging mit Koffer und der Wachmannjacke zur Toilette. Zurück kehrte er in einem hellen Anzug mit tadellosen Bügelfalten, braunen Schuhen und einem knielangen braunen Mantel, der so

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