Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
Vom Netzwerk:
sein.«
    Der Vogel drehte sich halb um und zog einen weiteren Streifen rohen Fleisches zwischen den Rippen des Rehs hervor. Dann flog er hinauf in die Bäume, und der rote Streifen baumelte ihm wie ein langer, blutiger Wurm aus seinem Schnabel.
    »He! Kannst du mich wenigstens zu einer richtigen Straße zurückführen?«, rief Shadow.
    Der Rabe flog auf und davon. Shadow betrachtete den Kadaver des Jungrehs. Er sagte sich, dass er sich, wäre er ein echter Jäger, ein Steak abschneiden würde, um es über einem Holzfeuer zu braten. Stattdessen setzte er sich auf einen umgestürzten Baum, aß ein Snickers und machte sich klar, dass er wohl wirklich kein echter Waidmann war.
    Der Rabe krächzte vom Rande der Lichtung zu ihm herüber.
    »Willst du, dass ich dir folge?«, sagte Shadow. »Ist Timmy wieder mal in den Brunnen gefallen?« Der Rabe krächzte erneut, mittlerweile recht ungeduldig. Shadow erhob sich und ging auf ihn zu. Der Vogel wartete, bis er ihn fast erreicht hatte, und flog dann, heftig flügelschlagend, zu einem anderen Baum etwas weiter links des Wegs, den Shadow ursprünglich gegangen war.
    »He«, rief Shadow. »Hugin oder Munin oder wer du bist.«
    Der Vogel drehte sich um, den Kopf misstrauisch zur Seite gelegt, und starrte ihn aus hellen Augen an.
    »Sag mal ›Nimmermehr‹«, sagte Shadow.
    »Leck mich«, sagte der Rabe. Sonst sagte er auf ihrem weiteren Weg durch das Waldland nichts mehr.
    Eine halbe Stunde später stießen sie auf eine Asphaltstraße am Rande einer Ortschaft, wo der Rabe zurück in den Wald flog. Shadow entdeckte ein »Culvers Frozen Custard Butterburger«-Schild und gleich daneben eine Tankstelle. Er betrat das Culvers, in dem sich aber keinerlei Gäste befanden. Hinter der Kasse stand ein eifrig wirkender junger Mann mit blank geschorenem Kopf. Shadow bestellte zwei Butterburger mit Fritten. Dann ging er zur Toilette, um sich sauber zu machen. Er sah schlimm aus. Er machte eine Bestandsaufnahme des Inhalts seiner Taschen: Da waren ein paar Münzen, einschließlich des silbernen Liberty-Dollars, eine Wegwerfzahnbürste, Zahnpasta, drei Riegel Snickers, fünf chemische Heizpolster, eine Brieftasche (mit nichts weiter als seinem Führerschein und einer Kreditkarte darin – wie lange die noch Bestand hatte, war auch noch unklar) und in der Innentasche des Mantels eintausend Dollar in Fünfzigern und Zwanzigern, sein Anteil aus dem gestrigen Bankraub. Er wusch sich Gesicht und Hände mit heißem Wasser, klatschte sich das dunkle Haar an den Kopf und ging schließlich zurück ins Restaurant, um seine Burger und Fritten zu verschlingen und Kaffee zu trinken.
    Danach ging er wieder zum Tresen. »Möchten Sie noch Puddingsorbet?«, fragte der eifrige junge Mann.
    »Nein. Nein, danke. Gibt’s hier irgendwas in der Gegend, wo ich mir ein Auto mieten kann? Mein Wagen ist nämlich ein Stück die Straße runter liegen geblieben.«
    Der junge Mann kratzte sich die Kopfhaut. »Hier in der Gegend nicht, Mister. Aber Sie könnten ja den Automobilclub anrufen. Oder fragen Sie in der Tankstelle nebenan, ob die Sie abschleppen können.«
    »Sehr gute Idee«, sagte Shadow. »Danke.«
    Er ging über den schmelzenden Schnee auf dem Culvers-Parkplatz zur Tankstelle. Dort kaufte er sich Schoko-Nuss-Riegel, Beefys und weitere chemische Hand- und Fußwärmer.
    »Kann man hier irgendwo ein Auto mieten?«, fragte er die Frau hinter der Kasse. Sie war ungeheuer korpulent, trug eine Brille und schien hocherfreut zu sein, jemanden zum Reden zu haben.
    »Da muss ich kurz nachdenken«, sagte sie. »Wir sind hier ziemlich ab vom Schuss. Solche Sachen macht man eher drüben in Madison. Wo wollen Sie denn hin?«
    »Nach Kay-ro«, sagte er. »Wo immer das ist.«
    »Oh, ich weiß, wo das ist«, sagte sie. »Geben Sie mir doch mal eine Illinois-Karte aus dem Regal da drüben.« Shadow reichte ihr eine der Landkarten, die in einer Plastikschutzhülle steckte. Die Frau faltete sie auf und zeigte dann triumphierend auf die allerunterste Ecke des Bundesstaates. »Da.«
    »Cairo?«
    »Sie sprechen das aus wie die Stadt, die in Ägypten liegt. Aber die in Klein-Ägypten, die sprechen das wie Kayro aus. Ein Thebes gibt es da unten auch, und was nicht noch alles. Meine Schwägerin kommt aus Thebes. Ich hab sie mal nach dem Theben in Ägypten gefragt, aber da hat sie mich nur angeguckt, als wäre bei mir ’ne Schraube locker.« Die Frau kicherte wie ein Abflussrohr.
    »Gibt es da unten auch irgendwelche Pyramiden?« Die

Weitere Kostenlose Bücher