American Gods
sehen, ob Sie okay sind. Das heißt, wenn Sie tot gewesen wären oder was, dann hätte ich die Polizei gerufen. Die Fenster waren aber irgendwie ziemlich beschlagen, und da hab ich gedacht, na ja, dann lebt er wohl noch.«
»Kommst du hier aus der Gegend?«
»Nö. Bin von Madison hergetrampt.«
»Das ist aber ziemlich gefährlich.«
»Das mach ich mindestens fünfmal im Jahr, schon seit drei Jahren. Ich lebe noch. Und, wo wollen Sie hin?«
»Ich fahre bis nach Cairo.«
»Vielen Dank«, sagte sie. »Ich will nach El Paso, um die Ferien bei meiner Tante zu verbringen.«
»So weit kann ich dich aber nicht bringen«, sagte Shadow.
»Nicht El Paso in Texas. Das andere, in Illinois. Das ist ein paar Stunden südlich. Wissen Sie überhaupt, wo Sie hier gerade sind?«
»Nein«, sagte Shadow. »Ich habe keine Ahnung. Irgendwo auf dem Highway 52?«
»Die nächste Stadt ist Peru«, sagte Sam. »Nicht die in Peru. Die in Illinois. Ich will vorher aber mal an Ihnen riechen. Beugen Sie sich runter.« Shadow gehorchte, und das Mädchen schnupperte an seinem Gesicht. »Okay, ich rieche keinen Alkohol. Sie können fahren. Auf geht’s.«
»Wie kommst du darauf, dass ich dich mitnehme?«
»Weil ich eine Maid in Nöten bin«, sagte sie. »Und Sie sind ein Ritter in was auch immer. Einem echt dreckigen Auto. Wussten Sie, dass jemand ›Wasch mich!‹ an Ihr Heckfenster geschrieben hat?« Shadow stieg in den Wagen und öffnete die Beifahrertür. Das Licht, das in Autos üblicherweise anging, wenn man eine der vorderen Türen öffnete, funktionierte bei diesem Wagen nicht.
»Nee«, sagte er. »Wusste ich nicht.«
Sie stieg ein. »Das war ich«, sagte sie. »Ich hab’s draufgemalt. Als man noch was sehen konnte.«
Shadow ließ den Motor an, schaltete die Scheinwerfer ein und fuhr wieder in Richtung Straße. »Links«, sagte Sam hilfsbereit. Shadow bog nach links ab und gab Gas. Nach einigen Minuten kam die Heizung auf Touren, und im Auto breitete sich segensreiche Wärme aus.
»Sie haben noch gar nichts gesagt«, sagte Sam. »Sagen Sie was.«
»Bist du ein menschliches Wesen?«, fragte Shadow. »Ein hundertprozentiger, von Mann und Frau gezeugter, lebendiger Mensch?«
»Klar«, sagte sie.
»Okay. Wollte da nur sichergehen. Und, was soll ich sagen?«
»Irgendwas, um mich erst mal zu beruhigen. Ich habe plötzlich dieses Gefühl: ›Oh Scheiße, ich bin im falschen Auto mit einem Verrückten‹.«
»Tja«, sagte er. »Das kenn ich. Was würdest du denn beruhigend finden?«
»Sagen Sie mir einfach, dass Sie kein entflohener Sträfling sind oder ein Massenmörder oder so was.«
Er dachte einen Augenblick nach. »Also, eigentlich nicht.«
»Sie mussten aber erst mal nachdenken, wie?«
»Gesessen habe ich. Hab aber niemanden umgebracht.«
»Oh.«
Sie erreichten einen kleinen, von Straßenlampen und Weihnachtsdekorationen erleuchteten Ort. Shadow riskierte einen Blick zur Seite. Das Mädchen hatte dunkles, strubbeliges kurzes Haar und ein Gesicht, das ihm sowohl attraktiv als auch ein wenig männlich erschien: Züge wie aus Stein gemeißelt. Sie sah ihn an.
»Weswegen waren Sie im Gefängnis?«
»Ich habe ein paar Leute übel zugerichtet. Man hat mich wütend gemacht.«
»Hatten die anderen es verdient?«
Shadow überlegte kurz. »Damals war ich jedenfalls der Ansicht.«
»Würden Sie es wieder tun?«
»Um Gottes willen, nein. Ich habe deswegen drei Jahre meines Lebens verloren.«
»Hm. Fließt indianisches Blut in Ihnen?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Ich frag nur, weil Sie ein bisschen so aussehen.«
»Da muss ich dich enttäuschen, tut mir Leid.«
»Macht nichts. Haben Sie Hunger?«
Shadow nickte. »Ich könnte was vertragen.«
»Gleich hinter der Lichtergruppe da vorn gibt es einen guten Laden. Gutes Essen. Und billig.«
Shadow bog auf den Parkplatz ab. Sie stiegen aus. Er machte sich nicht die Mühe, den Wagen abzuschließen, zog allerdings den Schlüssel ab und steckte ihn ein. Er kramte einige Münzen hervor, um sich eine Zeitung zu kaufen. »Kannst du es dir denn leisten, hier zu essen?«, fragte er.
»Ja.« Sie reckte das Kinn empor. »Ich kann allein für mich aufkommen.«
Shadow nickte. »Pass auf. Wir losen. Ich werf die Münze hoch – bei Kopf bezahlst du mein Essen mit, bei Zahl lade ich dich ein.«
»Ich will erst die Münze sehen«, sagte sie misstrauisch. »Ein Onkel von mir hat mal einen Quarter mit zwei Köpfen gehabt.«
Sie inspizierte die Münze und überzeugte sich davon, dass
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