American Gods
mich ist es schon noch eine große Sache«, sagte Shadow.
»Willst du hierbleiben, bis die Wachablösung kommt?«, sagte sie. »Kannst du gern, wenn du möchtest. Ich dachte nur, du würdest lieber von hier verschwinden.«
»Die werden denken, dass ich es war«, sagte er etwas töricht.
»Schon möglich«, sagte sie. »Zieh einen Mantel über, Schatz. Ist kalt draußen.«
Er trat hinaus in den Flur. Am Ende des Flurs befand sich ein Wachzimmer. Dort lagen vier Tote: drei Wächter und der Mann, der sich Stone genannt hatte. Sein Kompagnon war nirgends zu sehen. Den blutfarbenen Schleuderspuren auf dem Fußboden nach zu urteilen, waren zwei der Toten in den Wachraum geschleift und dort abgelegt worden.
Sein eigener Mantel hing am Kleiderständer. Die Brieftasche steckte noch in der Innentasche, offenbar unberührt. Laura riss ein paar Pappkartons mit Süßwaren auf.
Die Wächter – erst jetzt bekam er sie richtig zu Gesicht – trugen dunkle Tarnuniformen, an denen aber keine Amtsschilder zu sehen waren, kein Hinweis darauf, für wen sie arbeiteten. Sie hätten auch Freizeitentenjäger sein können, ausstaffiert für die Pirsch.
Laura streckte ihre kalten Finger aus und drückte Shadow die Hand. Sie hatte die Goldmünze, die er ihr gegeben hatte, an einer goldenen Kette um den Hals hängen.
»Das sieht hübsch aus«, sagte er.
»Danke.« Sie lächelte liebreizend.
»Was ist mit den anderen?«, fragte er. »Wednesday und der ganze Rest? Wo sind die?« Laura gab ihm eine Hand voll Schoko-Nuss-Riegel, und er stopfte sich die Taschen damit voll.
»Außer dir war niemand hier. Jede Menge leere Zellen, bis auf die, in der du warst. Oh, und einer von den Männern war mit einem Pornoheft in eine der Zellen dahinten gegangen, um sich einen runterzuholen. Der hat vielleicht einen Schock gekriegt.«
»Du hast ihn getötet, während er sich einen abgewichst hat?«
Sie zuckte die Achseln. »Glaub schon«, sagte sie verlegen. »Ich hatte Angst, dass sie dir was antun würden. Jemand muss ja auf dich aufpassen, und ich hab dir doch versprochen, dass ich das tun würde, oder? Hier, nimm die.« Es waren chemische Hand- und Fußwärmer: dünne Polster – man knickte das Metallplättchen, dann heizten sie sich auf und wärmten stundenlang. Shadow steckte sie sich in die Tasche.
»Auf mich aufpassen? Ja«, sagte er, »das hast du gemacht.«
Sie streckte einen Finger aus und streichelte ihn über der linken Augenbraue. »Du bist verletzt«, sagte sie.
»Geht schon«, sagte er.
Er drückte die Klinke einer Metalltür, die sich in der Wand befand.
Sie schwang langsam auf. Dahinter ging es gut einen Meter nach unten. Er sprang hinunter auf einen Untergrund, der sich wie Kies anfühlte. Er fasste Laura an der Hüfte und schwenkte sie zu Boden, wie er sie immer geschwenkt hatte, ganz leicht, ohne nachzudenken …
Der Mond trat hinter einer dicken Wolke hervor. Er stand niedrig am Horizont, bald würde er untergehen, aber das Licht, das er auf den Schnee warf, reichte zum Sehen.
Sie waren, wie sich jetzt herausstellte, dem schwarz gestrichenen Metallwaggon eines langen Güterzuges entschlüpft, der auf einem Abstellgleis im Waldgebiet geparkt oder ausrangiert worden war. Die Reihe der Waggons erstreckte sich, so weit sein Auge reichte, bis in die Bäume und noch weiter. Er war also in einem Zug gewesen. Er hätte es eigentlich merken müssen.
»Wie zum Teufel hast du mich hier gefunden?«, fragte er seine tote Frau.
Sie schüttelte bedächtig den Kopf, als amüsierte sie sich. »Du leuchtest wie ein Signalfeuer in einer dunklen Welt«, sagte sie. »Es war nicht so schwer. Und jetzt geh los! Geh so weit du kannst und so schnell du kannst. Benutze deine Kreditkarten nicht, dann wirst du auch keine Probleme bekommen.«
»Wo soll ich denn hin?«
Sie schob eine Hand in ihr verfilztes Haar und wischte sich Strähnen aus den Augen. »Die Straße ist da«, sagte sie und zeigte in eine Richtung. »Tue, was du kannst. Stiehl ein Auto, wenn es nötig ist. Wende dich nach Süden.«
»Laura«, sagte er und zögerte dann kurz. »Weißt du, was hier vorgeht? Weißt du, wer diese Leute sind? Die, die du getötet hast?«
»Ja«, sagte sie. »Ich glaube, ich weiß es.«
»Ich stehe in deiner Schuld«, sagte Shadow. »Ich würde immer noch da drinnen stecken, wenn du nicht gewesen wärst. Ich glaube nicht, dass die irgendwas Erfreuliches mit mir vorhatten.«
»Nein«, sagte sie. »Das glaube ich auch nicht.«
Sie entfernten sich von
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