American Gods
werden.
»Verdammt, sehen Sie gut aus«, sagte Jacquel. Er wartete am Fuß der Treppe und trug inzwischen selbst einen schwarzen Anzug von ähnlicher Art wie der Shadows. »Haben Sie schon mal einen Leichenwagen gefahren?«
»Nein.«
»Es gibt für alles ein erstes Mal«, sagte Jacquel. »Er steht draußen vor dem Haus.«
Eine alte Frau war gestorben. Ihr Name war Lila Goodchild. Nach Mr. Jacquels Anweisung trug Shadow die zusammengeklappte Aluminiumbahre die schmale Treppe hinauf in ihr Schlafzimmer und faltete sie neben dem Bett auseinander. Er holte einen undurchsichtigen blauen Plastikleichensack hervor, legte ihn neben der toten Frau aufs Bett und zog den Reißverschluss auf. Sie trug ein rosa Nachthemd und darüber einen gesteppten Morgenrock. Shadow hob sie hoch, wickelte ihren zerbrechlichen und fast gewichtslosen Körper in eine Decke und legte sie auf den Sack. Nachdem er diesen zugezogen hatte, packte er das Bündel auf die Bahre. Währenddessen unterhielt sich Jacquel mit dem ziemlich alten Mann, der zu Lila Goodchilds Lebzeiten mit ihr verheiratet gewesen war. Genauer gesagt: Jacquel hörte zu, und der alte Mann redete. Während Shadow mit der Entfernung der Gattin beschäftigt war, ließ der Alte sich darüber aus, was für undankbare Kinder er habe, und die Enkelkinder seien genauso, aber denen könne man gar keine Vorwürfe machen, Schuld hätten allein deren Eltern, der Apfel falle eben nicht weit vom Stamm, und er würde doch meinen, dass er die Bande zu was Besserem erzogen hätte.
Shadow und Jacquel rollten die beladene Bahre bis zum Absatz der schmalen Treppe. Der alte Mann folgte ihnen und redete unablässig, hauptsächlich über Geld und Gier und Undankbarkeit. Er trug Hauspantoffeln. Shadow trug das schwerere untere Ende der Bahre die Treppe hinunter und weiter nach draußen, wo er sie dann über den gefrorenen Bürgersteig zum Leichenwagen rollte. Jacquel öffnete die Hecktür. Als Shadow zögerte, sagte er: »Schieben Sie sie einfach rein. Die Stützen klappen sich dann von selbst zusammen.« Shadow schob die Bahre an, die Radstützen schnappten hoch, die Räder rotierten, und schließlich rollte die Bahre auf dem Boden des Leichenwagens entlang. Jacquel zeigte ihm, wie man sie sicher festschnallte, und dann schloss Shadow die Tür ab, während Jacquel weiter dem Mann zuhörte, der mit Lila Goodchild verheiratet gewesen war, ein alter Mann in Pantoffeln und Bademantel auf einem winterlichen Gehweg, der, von der Kälte unbeirrt, Jacquel klarzumachen versuchte, dass seine Kinder Aasgeier seien, jawohl, nichts Besseres als Aasgeier, die nur darauf lauerten, sich das Wenige zu schnappen, was Lila und er zusammengespart hätten, und sie beide seien erst nach St. Louis geflohen, dann nach Memphis, nach Miami, und schließlich seien sie in Cairo gelandet, und wie erleichtert er doch sei, dass Lila nicht in einem Pflegeheim gestorben sei, aber ihm graue davor, dass genau das ihm nun bevorstehen mochte.
Sie begleiteten den alten Mann zurück ins Haus und brachten ihn nach oben in sein Zimmer. Ein kleiner Fernsehapparat leierte aus einer Ecke des Schlafzimmers heraus. Als Shadow daran vorbeikam, bemerkte er, dass der Nachrichtensprecher grinste und ihm zuzwinkerte. Sobald er sich sicher war, dass niemand in seine Richtung sah, zeigte er dem Apparat den Stinkefinger.
»Die haben kein Geld«, sagte Jacquel, als sie wieder im Wagen saßen. »Morgen kommt er, um sich mit Ibis zu besprechen. Er wird das billigste Begräbnis nehmen wollen. Die Freundinnen der Verstorbenen, schätze ich, werden ihn aber dazu überreden, sie schicklich zu behandeln, um ihr einen würdigen Abschied zu verschaffen. Da wird er murren. Hat einfach kein Geld. Niemand hat heutzutage Geld in dieser Gegend. Na ja, in sechs Monaten wird er selbst tot sein. Spätestens in einem Jahr.«
Schneeflocken trieben durchs Scheinwerferlicht. Der Schnee war inzwischen nach Süden vorgedrungen.
»Ist er krank?«, sagte Shadow.
»Daran liegt’s nicht. Die Frauen überleben ihre Männer meist lange Zeit. Aber Männer – Männer wie er –, die leben nicht mehr lange, wenn ihre Frauen gestorben sind. Warten Sie’s ab – er wird sich nicht mehr zurechtfinden, all die vertrauten Dinge werden mit ihr verschwunden sein. Er wird müde und welkt dahin, und dann gibt er auf und ist weg. Vielleicht erwischt ihn die Grippe, vielleicht wird es auch der Krebs sein, oder sein Herz bleibt stehen. Man ist alt, der ganze Kampfgeist ist erloschen.
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