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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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konnte, und so ließ er auch der Katze etwas zukommen, entfernte die Haut und die knusprige Panade und zerkleinerte dann das Fleisch mit den Fingern in mundgerechte Happen.
    »Im Gefängnis kannte ich einen Typen namens Jackson«, sagte Shadow, während er aß, »der hat in der Gefängnisbibliothek gearbeitet. Er hat mir erzählt, dass sie den Namen von Kentucky Fried Chicken in KFC geändert haben, weil sie kein echtes Hühnerfleisch mehr verwenden. Die nehmen stattdessen jetzt dieses genetisch veränderte Mutantending, so etwas wie ein riesiger Tausendfüßler ohne Kopf, der nur aus Keulen, Brust und Flügeln besteht. Ernährt wird er über Nährstoffkanülen. Der Typ da also meinte, der Staat würde denen nicht erlauben, das Wort Chicken weiter zu verwenden.«
    Mr. Ibis lüpfte die Augenbrauen. »Glauben Sie, dass da was dran ist?«
    »Nee. Mein alter Zellengenosse Low Key dagegen hat gemeint, die hätten den Namen geändert, weil das Wort fried ein böses Wort geworden sei. Vielleicht wollen sie die Leute ja glauben machen, dass die Hühner sich irgendwie selber braten.«
    Nach dem Essen entschuldigte sich Jacquel und ging nach unten in die Leichenhalle. Ibis zog sich zum Schreiben in sein Arbeitszimmer zurück. Shadow blieb noch kurz in der Küche sitzen, fütterte die kleine braune Katze mit Hühnchenfetzen und schlürfte sein Bier. Nachdem das Bier und die Hühnchenteile alle waren, wusch er Teller und Besteck ab, ließ alles auf der Geschirrablage zum Trocknen liegen und ging dann nach oben.
    Als er sein Zimmer erreichte, lag die kleine braune Katze bereits wieder schlafend, zu einem pelzigen Halbmond zusammengerollt, am Fußende des Bettes. In der mittleren Schublade der Frisierkommode fand er mehrere gestreifte Baumwollpyjamas. Sie sahen aus, als wären sie siebzig Jahre alt, rochen aber frisch, und als er versuchsweise einen davon überstreifte, passte er genau wie der schwarze Anzug, als wäre auch er speziell für ihn geschneidert worden.
    Auf dem kleinen Tisch neben dem Bett lag ein schmaler Stapel von Reader’s-Digest-Heften, keines davon später als März 1960 erschienen. Jackson, der Typ in der Bücherei – derselbe, der sich für die Wahrheit der Kentucky-Fried-Mutant-Chicken-Creature-Story verbürgt und der ihm auch die Geschichte von den schwarzen Güterzügen erzählt hatte, die im Schutze der Nacht durchs Land fuhren, vom Staat eingesetzt, um politische Gefangene in geheime Konzentrationslager in Nordkalifornien zu verfrachten –, Jackson also hatte ihm ferner berichtet, dass die CIA Readers Digest nur als Tarnung für ihre Zweigstellen in aller Welt benutze. Ihm zufolge war jedes Reader’s-Digest- Büro, egal, in welchem Land, in Wirklichkeit nichts als die CIA.
    »Ein Witz«, sagte der verstorbene Mr. Wood in Shadows Erinnerung. »Warum können wir sicher sein, dass die CIA nichts mit der Kennedy-Ermordung zu tun hatte?«
    Shadow drückte das Fenster einen Spaltbreit auf – gerade weit genug, dass etwas Luft hereinströmte, und gerade genug, dass die Katze nach draußen auf den Balkon gelangen konnte.
    Er schaltete die Nachttischlampe ein, stieg ins Bett, und in der Hoffnung, abschalten zu können, die Ereignisse der letzten Tage aus dem Kopf zu bekommen, las er noch ein bisschen, suchte sich die uninteressantesten Artikel in den uninteressantesten Digest-Heften aus. Er merkte, wie er mitten in der Lektüre von »Ich bin Joes Bauchspeicheldrüse« im Begriff war einzuschlafen. Er schaffte es gerade noch, die Nachttischlampe auszuknipsen und den Kopf aufs Kissen zu betten, bevor ihm die Augen zufielen.
     
    Später sollte es ihm nie mehr gelingen, den Verlauf und die Einzelheiten jenes Traums zu rekonstruieren: Alle Versuche, die Erinnerung wachzurufen, brachten nicht mehr hervor als ein Gewirr von dunklen Bildern. Da war zunächst eine junge Frau. Er hatte sie irgendwo kennen gelernt, und jetzt spazierten sie über eine Brücke. Diese spannte sich mitten in einem Stadtgebiet über einen kleinen See. Der Wind kräuselte die Oberfläche des Sees und verzierte die Wellen mit kleinen weißen Schaumkronen, die Shadow wie winzige, nach ihm greifende Händchen scheinen wollten.
    – Da unten , sagte die Frau. Sie trug einen Rock mit Leopardenmuster, der im Winde flatterte, das Fleisch zwischen dem Rand ihrer Strümpfe und ihrem Rock war weich und cremefarben, und in seinem Traum, dort auf der Brücke, vor Gott und der Welt, ging Shadow vor ihr auf die Knie, begrub den Kopf in ihrem Schoß,

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