American Gods
angenehmes Summen im Kopf.
»Ihr Zimmer ist die Treppe rauf, neben dem Badezimmer«, sagte Jacquel. »Ihre Arbeitskleidung hängt im Schrank – Sie werden sehen. Vermutlich wollen Sie sich erst einmal waschen und rasieren.«
Das wollte Shadow in der Tat. Er duschte erst aufrecht in der gusseisernen Wanne und rasierte sich dann, unter erheblicher nervlicher Anspannung, mit einem schlanken Rasiermesser, das Jacquel ihm überlassen hatte. Es war geradezu obszön scharf und besaß einen Griff aus Perlmutt. Shadow vermutete, dass es normalerweise dann Verwendung fand, wenn es galt, toten Männern die letzte Rasur zu verabreichen. Er hatte nie zuvor ein solches Rasiermesser benutzt, aber es gelang ihm dennoch, sich nicht zu schneiden. Er wusch den Rasierschaum ab und betrachtete sich nackt im fliegenfleckigen Badezimmerspiegel. Er sah recht mitgenommen aus: Frische blaue Flecke auf Brust und Armen legten sich über die verblassenden alten, jene, die Mad Sweeney ihm zugefügt hatte. Seine Augen blickten ihn misstrauisch aus dem Spiegel an.
Und dann hob er, als würde jemand anders seine Hand führen, das Rasiermesser und hielt es sich mit offener Klinge an die Kehle.
Es wäre ein Ausweg, dachte er. Ein sehr bequemer noch dazu. Wenn es jemanden gab, der damit ohne weiteres fertig werden, der einfach die Sauerei beseitigen und dann weitermachen würde wie bisher, dann waren es die beiden Männer, die unten am Küchentisch saßen und Bier tranken. Keine Sorgen mehr. Keine Laura mehr. Keine Geheimnisse und Verschwörungen mehr. Keine bösen Träume mehr. Nur noch Ruhe und Frieden in Ewigkeit. Ein sauberer Schnitt, von Ohr zu Ohr. Mehr brauchte es nicht.
Er stand da, das Rasiermesser an der Kehle. Ein winziger Blutfleck trat an der Stelle hervor, wo die Klinge die Haut berührte. Er hatte den Schnitt nicht einmal bemerkt. Na bitte, sagte er sich, und fast schien es, als würde ihm jemand die Worte ins Ohr flüstern. Es geht ganz ohne Schmerzen. Zu scharf, um wehzutun. Ich bin hinüber, bevor ich es mitbekomme.
Auf einmal ging die Badezimmertür auf, nur wenige Zentimeter, gerade so viel, dass die kleine braune Katze den Kopf um den Türrahmen recken und neugierig zu ihm hinaufmaunzen konnte: »Mrr?«
»He«, sagte Shadow zur Katze. »Ich dachte, ich hätte die Tür zugesperrt.«
Er ließ das Rasiermesser zusammenschnappen und legte es auf dem Waschbeckenrand ab. Mit Toilettenpapier tupfte er die winzige Schnittwunde ab. Dann schlang er sich ein Handtuch um die Hüfte und ging nach nebenan.
Sein Zimmer schien wie die Küche irgendwann in den Zwanzigerjahren ausgestattet worden zu sein: Es gab einen Waschtisch und eine Wasserkanne, die neben der Kommode und dem Spiegel standen. Jemand hatte ihm auf dem Bett schon etwas zum Anziehen ausgelegt: einen schwarzen Anzug, weißes Hemd, schwarze Krawatte, weißes Unterhemd und weiße Unterhose, schwarze Socken. Auf dem abgewetzten Perserteppich neben dem Bett standen schwarze Schuhe.
Er zog sich an. Die Sachen waren von guter Qualität, wenn auch keineswegs neu. Er fragte sich, wem sie wohl gehört haben mochten. Trug er die Socken eines Toten? War er im Begriff, in die Schuhe eines Verstorbenen zu schlüpfen? Er band sich vor dem Spiegel die Krawatte, und jetzt kam es ihm vor, als würde sein Spiegelbild ihm höhnisch zulächeln.
Schon schien es ihm unbegreiflich, dass er je auch nur daran gedacht hatte, sich die Kehle durchzuschneiden. Während er sich mit der Krawatte abmühte, fuhr sein Spiegelbild fort zu lächeln.
»He«, sagte er zu ihm. »Weißt du etwas, was ich nicht weiß?« Und sofort kam er sich töricht vor.
Die Tür ging knarrend auf, die Katze schlüpfte zwischen Türpfosten und Tür hindurch, tappte durchs Zimmer und hüpfte dann hinauf auf die Fensterbank. »He«, sagte er zur Katze. »Die Tür war geschlossen. Ich weiß genau, dass ich diese Tür zugemacht habe.« Sie sah ihn interessiert an. Ihre Augen waren dunkelgelb, bernsteinfarben. Sie sprang vom Fensterbrett hinunter aufs Bett, wo sie sich zu einem Knäuel Fell zusammenrollte, um sich wieder zur Ruhe zu begeben, ein rundes Häuflein Katze auf einer alten Tagesdecke.
Shadow ließ die Zimmertür offen, damit die Katze wieder hinauskonnte und das Zimmer gleichzeitig etwas frische Luft abbekam, und ging nach unten. Die Treppe knarrte und ächzte, während er die Stufen hinunterschritt, klagte gewissermaßen über die Zumutung seines Gewichts, als wollte sie einfach nur in Ruhe gelassen
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