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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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traumlos und wohlig. Shadow tauchte tief hinab und hielt ihn fest.
     
    Das Licht war seltsam. Es war, wie er seiner Armbanduhr entnahm, sechs Uhr fünfundvierzig und draußen noch dunkel, das Zimmer jedoch lag in blassblauem Halbdunkel. Er stieg aus dem Bett. Er wusste mit Sicherheit, dass er, als er am Vorabend zu Bett gegangen war, einen Pyjama getragen hatte, jetzt aber war er nackt, und es zog kalt auf seiner Haut. Er ging zum Fenster und machte es zu.
    In der Nacht hatte es einen Schneesturm gegeben: Fünfzehn Zentimeter Schnee waren gefallen, vielleicht noch mehr. Der Teil der Stadt, den Shadow von seinem Fenster aus sehen konnte, zuvor eine schmutzige, heruntergekommene Ecke, war in etwas ganz anderes, Sauberes, verwandelt worden: Die Häuser waren nicht mehr verlassen und vergessen, sondern in Eleganz erstarrt. Die Straßen waren überhaupt nicht mehr zu sehen, verschwunden unter einer weißen Schneedecke.
    Da war eine Idee, ein Gedanke, der am Rande seiner Wahrnehmung lauerte. Irgendwas im Zusammenhang mit Flüchtigkeit . Es flackerte kurz auf und war dann wieder verschwunden.
    Er konnte alles so gut erkennen, als wäre es heller Tag.
    Im Spiegel bemerkte Shadow etwas Seltsames. Er trat näher und besah sich verwirrt. Alle seine blauen Flecken waren verschwunden. Er fasste sich an die Seite, drückte mit den Fingerspitzen fest hinein, tastete nach den schmerzhaften Druckstellen, die eigentlich von seinem Zusammentreffen mit den Herren Stone und Wood zeugen sollten, forschte nach den sich grünlich verfärbenden Körperveilchen, die er Mad Sweeney zu verdanken hatte – fand aber nicht das Geringste. Sein Gesicht zeigte keinerlei Spuren. An beiden Seiten jedoch und auch auf dem Rücken (er drehte sich herum, um die Angelegenheit zu untersuchen) waren Kratzer, die wie Krallenspuren aussahen.
    Er hatte also nicht geträumt. Jedenfalls nicht alles.
    Shadow zog die Schubladen auf und fand, was er suchte: eine alte blaue Levis, ein Hemd, einen dicken blauen Pullover und schließlich noch einen schwarzen Leichenbestattermantel, der im Kleiderschrank in der hinteren Zimmerecke hing.
    Er schlüpfte in seine eigenen alten Schuhe.
    Das Haus lag noch im Schlaf. Er schlich vorwärts, zwang die Bodendielen per Willenskraft, jegliches Knarren zu unterlassen, und dann war er aus dem Haus heraus und lief durch den Schnee, wobei er auf dem Gehsteig tiefe Fußspuren hinterließ. Es war heller draußen, als es von drinnen den Anschein gehabt hatte, der Schnee reflektierte das Licht, das vom Himmel kam.
    Eine Viertelstunde später kam Shadow zu einer Brücke, neben der ihn ein großes Schild darauf hinwies, dass er im Begriff sei, die Altstadt von Cairo zu verlassen. Ein Mann stand unter der Brücke, groß und schlaksig, saugte an einer Zigarette und zitterte vor sich hin. Shadow glaubte, den Mann zu kennen.
    Und dann, unter der Brücke, war er trotz der winterlichen Dunkelheit nahe genug herangekommen, um die violett verwischten blauen Flecken rund um die Augen des Mannes zu erkennen, und er sagte: »Guten Morgen, Mad Sweeney.«
    Die Welt war so ruhig. Die eingeschneite Stille wurde nicht einmal durch Autos gestört.
    »He, Alter«, sagte Mad Sweeney. Er blickte nicht auf. Bei der Zigarette handelte es sich um eine selbst gedrehte.
    »Wenn du es dir zur Gewohnheit machst, dich unter Brücken herumzutreiben, Mad Sweeney«, sagte Shadow, »werden die Leute noch denken, dass du ein Troll bist.«
    Jetzt blickte Mad Sweeney doch auf. Shadow konnte sogar das Weiße in den Augen rund um die Iris sehen. Der Mann wirkte verängstigt. »Ich hab nach dir gesucht«, sagte er. »Du musst mir helfen, Mann. Ich stecke voll in der Scheiße.« Er saugte an seiner selbst gedrehten Zigarette und zog sie dann aus dem Mund. Das Zigarettenpapier blieb an der Unterlippe hängen, und die Zigarette fiel auseinander, verstreute ihren Inhalt über den rotblonden Bart und auf das dreckige T-Shirt. Mad Sweeney bürstete die Krümel mit schwarz gefärbten Händen ab, so hektisch, als handelte es sich um gefährliche Insekten.
    »Meine Mittel sind ziemlich erschöpft, Mad Sweeney«, sagte Shadow. »Aber erzähl doch erst einmal, was genau du brauchst. Soll ich dir einen Kaffee holen?«
    Mad Sweeney schüttelte den Kopf. Er zog einen Tabakbeutel und Blättchen aus der Tasche seiner Jeansjacke und begann sich eine neue Zigarette zu drehen. Der Bart wogte und der Mund bewegte sich während dieser Beschäftigung, obwohl kein Wort zu hören war. Er leckte an der

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