Amerigo: Die Geschichte eines historischen Irrtums
geographischen Nonsens verachten, die Kolonisten, die er mit seinen großen Ankündigungen enttäuscht, die Beamten, die ihm seine hohe Stellung mißgönnen, beginnen eine geschlossene Front gegen den »Admiral von Mosquitoland« zu bilden; immer mehr wird der alte Mann in den Winkel gedrängt, und er selbst bekennt reumütig: »Ich hatte gesagt, ich hätte die reichsten Königreiche betreten. Ich sprach von Gold, Perlen, Edelsteinen, Gewürzen, und als das alles nicht gleich auftauchte, fiel ich in Schande.« Um 1500 ist Christophoro Colombo in Spanien ein erledigter Mann und bei seinem Tode 1506 ein beinahe vergessener.
Auch die nächsten Jahrzehnte erinnern sich seiner kaum: es ist eine rasch strömende Zeit. Jedes Jahr meldet neue Heldentaten, neue Entdeckungen, neue Namen, neue Triumphe, und in solchen Zeiten wird das gestern Geleistete rascher übersehen. Da landen Vasco da Gama und Cabral von Indien; sie bringen nicht bloß nackte Sklaven und vage Verheißungen mit, sondern alle Kostbarkeiten des Ostens; König Manuel, el Fortunado, wird dank dieser Beute aus Calicut und Malacca der reichste Monarch Europas. Brasilien wirdentdeckt, Nunez de Balboa erblickt von den Höhen von Panama zum erstenmal den Pazifischen Ozean. Cortez erobert Mexiko, Pizarro Peru: endlich strömt wirkliches Gold in die Schatzkammer. Magelhães umsegelt Amerika, und nach dreijähriger Reise kehrt – großartigste Seemannstat aller Zeiten – sein Flaggschiff » Victoria « rund um den Erdball nach Sevilla zurück. 1545 werden die Silberminen von Potosí erschlossen, Jahr um Jahr steuern hochbeladen die Flotten nach Europa zurück. Alle Meere sind durchfahren, alle oder beinahe alle Länder des Erdkreises umrundet in einem halben Jahrhundert: was zählt da der Einzelne und seine Tat in diesem homerischen Heldengedicht? Noch sind die Bücher nicht erschienen, die sein Leben schildern, seine einsame Voraussicht erklären; die Columbusfahrt gilt bald nur noch als eine in der ruhmreichen Schar der neuen Argonauten, und weil er den geringsten greifbaren Gewinn gebracht, verkennt und vergißt ihn die Zeit, die wie jede nur in ihren eigenen Maßen denkt und nicht in jenen der Geschichte.
Mächtig erhebt sich unterdessen der Ruhm Amerigo Vespuccis. Da alle noch irrten und sich verblenden ließen von dem Wahn, man habe Indien im Westen entdeckt, hat er die Wahrheit erkannt: daß dies ein Mundus Novus sei, eine neue Welt, ein anderer Kontinent. Immer hat er nur die Wahrheit berichtet: er hat nicht Gold und Edelsteine versprochen, sondern bescheiden gemeldet, die Eingeborenen erzählten zwar, man findeGold in diesen Ländern, er aber sei wie der heilige Thomas behutsam im Glauben: die Zeit würde es lehren. Und nicht um Goldes und Geldes willen wie die andern ist er ausgefahren, sondern um der idealen Lust an der Entdeckung. Er hat nicht Menschen gemartert und Reiche zerstört wie alle die andern verbrecherischen Conquistadoren: er hat die fremden Völker als Humanist, als gelehrter Mann in ihren Sitten und Gebräuchen beobachtet und geschildert, ohne sie zu rühmen, ohne sie zu tadeln, er hat, ein weiser Schüler des Ptolemäus und der großen Philosophen, die neuen Sterne beobachtet in ihrem Lauf und die Meere und Länder durchforscht um ihrer Wunder und Geheimnisse willen. Nicht der blinde Zufall hat ihn geführt, sondern strenge mathematische und astronomische Wissenschaft – ja, er ist einer der Ihren, rühmen die Gelehrten, homo humanus , ein Humanist! Er weiß zu schreiben und weiß Latein zu schreiben, die einzige Sprache, die sie für geistige Angelegenheiten als gültig erachten; er hat die Ehre der Wissenschaft gerettet, indem er einzig ihr diente und nicht dem Gewinn und dem Geld. Jeder einzelne der zeitgenössischen Geschichtsschreiber beginnt mit einer Verbeugung, ehe er Vespuccis Namen nennt, Peter Martyr und Ramusio und Oviedo; und da es nicht mehr als ein Dutzend Gelehrte sind, die damals ihre Zeit belehren, gilt Vespucci als der größte Seefahrer seiner Zeit.
Diesen ungeheuren Nimbus innerhalb der gelehrten Welt dankt er also im letzten dem zufälligenUmstand, daß seine beiden – ach, so dünnen und anzweifelhaften – Werkchen in lateinischer Sprache, der Gelehrtensprache erschienen sind; vor allem ist es die Ausgabe der › Cosmographiae Introductio ‹, die ihm die überwältigende Autorität über alle andern gibt. Nur weil er sie als erster beschrieb, wird Vespucci von den Gelehrten, denen das Wort mehr gilt als
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