Amerigo: Die Geschichte eines historischen Irrtums
von neuem eine – im Leben nie vorhandene – Rivalität zwischen den beiden großen Seefahrern anfachen. Aber sie selbst werden von diesem Zank und Lärm so wenig vernehmen wie von dem Wind, der mit unverständlichem Wort über ihre Gräber hinfahrt.
Der Unterliegende in diesem grotesken Kampf eines Ruhms gegen einen andern ist zunächst Columbus. Er ist als ein Besiegter, Gedemütigter und halb Vergessener gestorben. Ein Mann einer einzigen Idee und einer einzigen Tat, hat er seinen unsterblichen Augenblick in der Stunde gehabt, da diese Idee sich in der Tat verwirklichte, in der Stunde, da die »Santa Maria« an dem Strande von Guanahani landete, da der bisher unzugängliche Atlantische Ozean zum erstenmal durchmessen war. Bis zu dieser Stunde hatte der große Genueser der Welt als Narr, als Phantast, als wirrer, unrealistischer Träumer gegolten, und von dieser Stunde an gilt er es ihr zum zweitenmal. Denn von dem Wahn, der ihn getrieben, kann er sich nicht befreien. Als er zum erstenmal meldet, er habe »die reichsten Königreiche der Erde betreten«, als er Gold und Perlen und Gewürzeverspricht aus dem erreichten »Indien«, schenkt man ihm noch Glauben. Eine mächtige Flotte wird ausgerüstet, fünfzehnhundert Menschen kämpfen um die Ehre, mitreisen zu dürfen nach dem Ophir und El Dorado, das er behauptet, mit eigenen Augen erschaut zu haben, die Königin gibt ihm, in Seide gewickelt, Briefe mit an den »großen Khan« in Quinsay; aber dann kommt er zurück von dieser großen Reise, und was er bringt, sind ein paar hundert halbverhungerter Sklaven, welche die fromme Königin sich weigert, zu verkaufen. Ein paar hundert Sklaven und den alten Wahn, er sei in China, in Japan gewesen. Und dieser Wahn wird immer wirrer, immer phantastischer, je weniger er sich bewahrheitet. In Cuba ruft er seine Leute zusammen und läßt sie unter Androhung von hundert Peitschenhieben vor einem escribano , einem Notar, feierlich beeiden, daß Cuba keine Insel sei, sondern das chinesische Festland. Die wehrlosen Seeleute zucken die Achseln über den Narren und unterschreiben, ohne ihn ernst zu nehmen, und einer von ihnen, Juan
de Cosa, zeichnet, ohne sich um den erzwungenen Eid zu kümmern, Cuba geruhig als Insel in seine Landkarte ein. Aber unentwegt schreibt Columbus wieder der Königin, »nur ein Kanal trenne ihn noch vom Goldchersonnes des Ptolemäus« (der Halbinsel Malacca) und »es sei nicht weiter von Panama an den Ganges als von Pisa nach Genua«. Zuerst lächelt man noch am Hofe über diese wilden Versprechungen, allmählich wird man mißmutig. Die Expeditionen kosten schweres Geld,und was bringen sie heim: schwächliche, verhungerte Sklaven statt des verheißenen Goldes, und Syphilis statt der Gewürze. Die Inseln, die die Krone ihm zur Verwaltung anvertraut, werden zu schauerlichen Schlachthäusern und wüsten Leichenfeldern. Eine Million Eingeborene gehen allein auf Haiti innerhalb eines Jahrzehnts zugrunde, die Einwanderer verarmen und rebellieren, furchtbare Nachrichten von unmenschlichen Grausamkeiten kommen mit jedem Brief und mit den enttäuscht aus diesem »irdischen Paradies« zurückflüchtenden Kolonisten. Bald erkennt man in Spanien: dieser Phantast weiß nur zu träumen und nicht zu herrschen; das erste, was der neuentsandte Gouverneur Bobadilla von seinem Schiff aus sieht, sind Galgen mit im Winde schwankenden Leichen seiner Landsleute. In Ketten muß man die drei Brüder heimbringen, und selbst als man Columbus seine Freiheit, seine Ehre, seine Titel reumütig wiedergibt, ist sein Nimbus in Spanien doch völlig dahin.
Wenn er landet, wird sein Schiff nicht mehr umdrängt von großer Erwartung. Wenn er zu Hofe will, weicht man aus, und der alte Mann, der Entdecker Amerikas, muß ein flehentliches Gesuch einreichen, einen Maulesel auf dem Wege benützen zu dürfen. Noch immer verspricht und verspricht er, und immer phantastischere Dinge. Er werde auf der nächsten Fahrt »das Paradies« finden, verspricht er der Königin, und wiederum dem Papst, er wolle auf dem neuen kürzeren Wege in einer Kreuzfahrt »Jerusalem befreien«.Der sündigen Menschheit kündigt er in seinem ›Buch der Prophezeiungen‹ an, in hundertfünfzig Jahren werde die Welt zugrundegehen. Schließlich hört niemand mehr auf den » fallador « (den Schwätzer) und seine » imaginacôes com su Ilha Cipangu « (Phantastereien von der Insel Zipangu). Die Kaufleute, die an ihm Geld verloren haben, die Gelehrten, die seinen
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