Amerika
ist, denn ich kann noch gar nichts, Sie würden staunen, wie wenig ich kann. Und nun erlauben Sie, daß ich mich
verabschiede, schließlich ist es ja doch schon Schlafenszeit.«
Und weil ihn Klara gütig ansah und ihm wegen der Rauferei gar nichts nachzutragen schien, fügte er lächelnd hinzu, während er ihr die Hand reichte: »In meiner Heimat pflegt man zu sagen:
›Schlafe wohl und träume süß.‹«
»Warten Sie«, sagte sie, ohne die Hand anzunehmen,
»vielleicht sollten Sie doch spielen.« Und sie verschwand durch eine kleine Seitentür, neben der das Piano stand.
›Was ist denn‹, dachte Karl. ›Lange kann ich nicht warten, so lieb sie auch ist.‹ Es klopfte an der Gangtüre, und der Diener, der die Türe nicht ganz zu öffnen wagte, flüsterte durch einen kleinen Spalt: »Verzeihen Sie, ich wurde soeben abberufen und kann nicht mehr warten.«
»Gehen Sie nur«, sagte Karl, der sich nun getraute, den Weg ins Speisezimmer allein zu finden. »Lassen Sie mir nur die Laterne vor der Türe. Wie spät ist es übrigens?«
»Bald dreiviertel zwölf«, sagte der Diener.
»Wie langsam die Zeit vergeht«, sagte Karl. Der Diener wollte schon die Türe schließen, da erinnerte sich Karl, daß er ihm noch kein Trinkgeld gegeben hatte, nahm einen Schilling aus der Hosentasche
– er trug jetzt immer Münzengeld, nach
amerikanischer Sitte lose klingelnd, in der Hosentasche,
Banknoten dagegen in der Westentasche – und reichte ihn dem Diener mit den Worten: »Für Ihre guten Dienste.«
Klara war schon wieder eingetreten, die Hände an ihrer festen Frisur, als es Karl einfiel, daß er den Diener doch nicht hätte wegschicken sollen, denn wer würde ihn jetzt zur Station der Stadtbahn führen? Nun, da würde wohl schon Herr Pollunder einen Diener noch auftreiben können, vielleicht war übrigens dieser Diener ins Speisezimmer gerufen worden und würde dann zur Verfügung stehen.
»Ich bitte Sie also doch, ein wenig zu spielen. Man hört hier so selten Musik, daß man sich keine Gelegenheit, sie zu hören, entgehen lassen will.«
»Dann ist es aber höchste Zeit«, sagte Karl ohne weitere
Überlegung und setzte sich gleich zum Klavier.
»Wollen Sie Noten haben?« fragte Klara.
»Danke, ich kann ja Noten nicht einmal vollkommen lesen«, antwortete Karl und spielte schon. Es war ein kleines Lied, das, wie Karl wohl wußte, ziemlich langsam hätte gespielt werden müssen, um, besonders für Fremde, auch nur verständlich zu sein, aber er hudelte es in ärgstem Marschtempo hinunter. Nach der Beendigung fuhr die gestörte Stille des Hauses wie in großem Gedränge wieder an ihren Platz. Man saß wie
benommen da und rührte sich nicht.
»Ganz schön«, sagte Klara, aber es gab keine
Höflichkeitsformel, die Karl nach diesem Spiel hätte schmeicheln können.
»Wie spät ist es?«, fragte er.
»Dreiviertel zwölf«
»Dann habe ich noch ein Weilchen Zeit«, sagte er und dachte bei sich: ›Entweder – oder. Ich muß ja nicht alle zehn Lieder spielen, die ich kann, aber eines kann ich nach Möglichkeit gut spielen.‹ Und er fing sein geliebtes Soldatenlied an. So langsam, daß das aufgestörte Verlangen des Zuhörers sich nach der
nächsten Note streckte, die Karl zurückhielt und nur schwer hergab. Er mußte ja tatsächlich bei jedem Lied die nötigen Tasten mit den Augen erst zusammensuchen, aber außerdem
fühlte er in sich ein Leid entstehen, das, über das Ende des Liedes hinaus, ein anderes Ende suchte und es nicht finden konnte. »Ich kann ja nichts«, sagte Karl nach Schluß des Liedes und sah Klara mit Tränen in den Augen an.
Da ertönte aus dem Nebenzimmer lautes Händeklatschen. »Es hört noch jemand zu!« rief Karl aufgerüttelt.
»Mack«, sagte Klara leise. Und schon hörte man Mack rufen:
»Karl Roßmann, Karl Roßmann!«
Karl schwang sich mit beiden Füßen zugleich über die
Klavierbank und öffnete die Tür. Er sah dort Mack in einem großen Himmelbett halb liegend sitzen, die Bettdecke war lose über die Beine geworfen. Der Baldachin aus blauer Seide war die einzige, ein wenig mädchenhafte Pracht des sonst einfachen, aus schwerem Holz eckig gezimmerten Bettes. Auf dem
Nachttischchen brannte nur eine Kerze, aber die Bettwäsche und Macks Hemd waren so weiß, daß das über sie fallende
Kerzenlicht in fast blendendem Widerschein von ihnen strahlte; auch der Baldachin leuchtete, wenigstens am Rande, mit seiner leicht gewellten, nicht ganz fest gespannten Seide. Gleich hinter Mack
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