Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)
kleinen Blumenbeet. Auf einem lila Schild steht eine Art Motto: » Ashes to ashes, dust to dust / We bury a Hummer here to rust. / And from these ashes we recreate / A world of peace, an end to hate .«
Entlang der Straße sind Gemüsegärten entstanden, ein Nachbar hat sich Hühner zugelegt, hier und dort sieht man jemanden gemütlich mit dem Fahrrad fahren.
Die Stadt ist hier wieder zum Dorf geworden. Ein seltsamer Friede hängt in der Luft, ein Sichfügen ins Schicksal. Home , trotz allem immer wieder home .
TEIL VIER
I’m still a man. Damn it!
JOHN STEINBECK, 1960
1
Nach zehn Meilen ist Detroit aus dem Landschaftsbild gelöscht, spurlos verschwunden, vergessen wie ein böser Traum. Eine Viertelstunde sind wir gefahren, und der Highway führt hügelauf, hügelab durch die Kornfelder Michigans, als könne es nicht anders sein. Die Namen der Farmen klingen wieder vertraut und vertrauenerweckend: Hoekstra, Ritsema, Van Deck. Eine Plakatwand ruft uns zu: » A familiy that prays together stays together .« Am Straßenrand Tierleichen wie Reifenfetzen, nur ein Waschbär wirkt unversehrt, er liegt auf dem Rücken, die Händchen gekreuzt, als schliefe er.
Steinbeck atmete auf, als er die Industriezentren hinter sich ließ. Auch er bemerkte, wie plötzlich sich die Umgebung veränderte; auf einmal fuhr er wieder »auf einer ruhigen kleinen Landstraße […] unter Bäumen und vorbei an umzäunten Weiden mit Kühen«. Er hatte einen Abstecher über Pontiac und Flint gemacht und landete schließlich im Norden von Michigan an einem See mit klarem, sauberem Wasser. Dort briet er sich »unwahrscheinliche Mahlzeiten« in seinen »wegwerfbaren« Aluminiumpfannen, kochte Kaffee, »so stark und dick, dass ein Nagel darin geschwommen wäre«, und versuchte, auf Rosinantes Hintertreppe sitzend, Ordnung in »die wimmelnde Vielfalt des Gesehenen und Gehörten zu bringen«. Hoch oben am Himmel sah er die V-Formationen von Enten und Gänsen auf dem Zug nach Süden.
Wie von Anfang an geplant, hatte er die lärmenden großstädtischen Zentren weitgehend gemieden; er hatte nur ein paar Allgemeinplätze über sie notiert. Erst jetzt begann für ihn wieder das wahre, unverdorbene Amerika. Mit dieser Wahrnehmung stand er in der Tradition von Denkern wie Thomas Jefferson, für den das ideale Amerika vor allem ein Agrarland war, eine Demokratie unabhängiger Farmer, die von den Erträgen ihres eigenen Bodens lebten. »Wenn ein Volk von Gott auserwählt ist«, schrieb Jefferson, »dann ist es wohl das Volk, das den Boden bearbeitet.«
Doch wegen dieser Vorliebe für das ländliche Amerika hat Steinbeck, das wird mir jetzt immer klarer, wesentliche Teile der Vereinigten Staaten bewusst ausgeblendet – und ich folge ihm darin unwillkürlich. Das Amerika der fortwährenden Erneuerung, das Amerika der Vorstädte und der dynamischen Zentren Detroit, Chicago, Seattle oder San Francisco hat er zum größten Teil überschlagen.
In dieser Hinsicht hatte er viel mit dem betagten Henry Ford gemeinsam: Auch Steinbecks Amerika war letztlich das Amerika, in dem er aufgewachsen war, das ländliche und kleinstädtische, wie er es in seinen Büchern immer wieder lebendig werden ließ.
Aber er wusste um die Fragwürdigkeit seiner subjektiven Auswahl. »Auf der langen Reise wurde ich oft von Zweifeln begleitet«, schreibt er. Leser, die auf seinen Spuren durchs Land reisten, würden vielleicht ein ganz anderes Amerika vorfinden. »Es gibt dort so vieles zu sehen, aber unsere Morgenaugen beschreiben eine andere Welt als unsere Nachmittagsaugen, und sicher können unsere ermüdeten Abendaugen nur eine ermüdete Abendwelt beschreiben.«
Steinbeck sah sich selbst gern als traditionellen Amerikaner, der sich unter den schweigsamen Menschen vom Land am wohlsten fühlt. Das passt zu Arthur Millers Beschreibung von ihm: »ein gefesselter Riese, geschaffen für Sonne, Wasser und Erde und nicht für Bürgersteige und feine Leute«. In Wahrheit war Steinbeck wie Miller selbst ein moderner Städter, der eine Wohnung in New York hatte, viele Bekanntschaften pflegte und immer wieder lange Reisen nach Paris, London und in andere europäische Städte unternahm. Der innere Zwiespalt, der Die Reise mit Charley von Anfang an bestimmt, war überhaupt charakteristisch für Steinbeck. Und wahrscheinlich wollte sich auch sein großes amerikanisches Lesepublikum in diesem ländlichen Amerika wiedererkennen, obwohl das wenig mit der Wirklichkeit zu tun hatte.
Steinbecks
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