Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)
verursacht worden war, deren Handeln sich ausschließlich an den eigenen Interessen orientierte, einzig auf der Grundlage von Vorurteilen und Überlegenheitsgefühlen, ohne jeden Skrupel.
Zum Zweiten waren es entgegen der landläufigen Meinung nicht die zugewanderten Schwarzen, die in Städten wie Detroit die größten Probleme verursachten. Isabel Wilkerson zitiert eine ganze Reihe neuerer soziologischer Studien, aus denen hervorgeht, dass die Ehen der schwarzen Immigranten der ersten Generation öfter intakt blieben als die der »autochthonen« Farbigen. Ihre Kinder wuchsen häufiger in einer stabilen Familie auf, sie hatten öfter Arbeit, verdienten mehr, gerieten weniger schnell in Armut und waren weniger häufig auf Sozialhilfe angewiesen. Den Studien zufolge waren es nicht die Immigranten, die die Situation in den Städten verschlechterten, sondern andersherum.
»In den Fällen, wo alles schiefging«, schreibt Wilkerson, »zeigte sich: Je länger die Immigranten in den nördlichen Städten lebten, desto anfälliger wurden manche für die Probleme einer Welt, die es bereits gab, bevor sie diese betraten.« Gleichzeitig weist sie immer wieder auf die »stillen Erfolgsgeschichten« zahlloser Durchschnittsimmigranten wie Ida Mae in Chicago hin, die immer gearbeitet hat, nie auf Sozialhilfe angewiesen war und auch sonst nicht in Schwierigkeiten geriet, die ihr Leben lang zur Kirche ging und ordentlich ihre Steuern bezahlte und die auf wundersame Weise sie selbst blieb. Durch die Fixierung auf die schwarze Unterschicht, schreibt Wilkerson, übersehe Amerika die enormen Leistungen der vielen Millionen Ida Maes vollkommen.
In Detroit fanden die ersten großen Straßenkämpfe zwischen Schwarzen und Weißen während des Zweiten Weltkriegs statt, im Sommer 1943. Es war das erste Mal, dass Schwarze in derart großer Zahl die Gettos verließen, um Weiße und deren Geschäfte und Firmen anzugreifen. Bei früheren Rassenunruhen waren es immer Weiße gewesen, die schwarze Viertel stürmten und plünderten. Jetzt revanchierten die Farbigen sich. Die Kämpfe waren heftig, sie dauerten eine Woche, es gab vierunddreißig Tote und über tausend Verletzte. Danach nahmen die Spannungen langsam zu, und damit die Kriminalität. In den fünfziger Jahren verließ eine halbe Million weiße Detroiter die Stadt. Und der Exodus nahm im Sommer 1967 Fahrt auf nach einer weiteren Woche von Massenunruhen, Brandstiftungen und Plünderungen. Joseph Amato: »Das Ganze lief komplett aus dem Ruder. Die Regierung musste Panzer einsetzen, in den Straßen wurde mit Maschinengewehren geschossen, es war ein einziges Chaos. Von dem Zeitpunkt an verließen die Weißen scharenweiße die Stadt, der Wert der Immobilien sank immer weiter, und der der Stadt auch. Und das war wiederum der Beginn eines neuen Dramas: Das Haus ist oft das einzige Kapital eines Amerikaners, seine Pension, seine Geldanlage fürs Alter. Wenn ein solches Haus nichts mehr wert ist, dann ist das erneut eine Katastrophe.«
Als Steinbeck hier vorbeikam, waren noch 70 Prozent der Einwohner von Detroit Weiße. Zehn Jahre später war es die schwärzeste Stadt der Vereinigten Staaten, ein bedeutendes Zentrum schwarzer Kultur mit einem schwarzen Bürgermeister und einer stabilen schwarzen Mittelschicht. Die Einkünfte gingen jedoch zurück, die Stadt wurde immer ärmer, die Polizei korrupter, die Kriminellen mächtiger und gewalttätiger. Joseph Amato: »In meinem alten Viertel wurden die Ladeninhaber von zwölf-, vierzehnjährigen Kindern mit schweren Pistolen in den kleinen Händen überfallen. Die Einzigen, die sich zum Schluss noch trauten, in einem Laden hinter dem Tresen zu stehen, waren geflohene Iraker. Die waren diese Art von Gewalt gewöhnt, und sie schossen jeden Räuber gnadenlos nieder, auch wenn es ein vierzehnjähriges Bürschlein war.«
Detroit wurde mit dem Rekord von über 10 000 unaufgeklärten Morden zur »murder capital « Amerikas. Leerstand verursacht Brand. Brände waren in den desaströsen achtziger und neunziger Jahren an der Tagesordnung. 1983 wurden in der Devil’s Night , der Nacht vor Halloween, über 800 Gebäude angezündet. Erst nach der Jahrtausendwende nahmen die Gewalt und das Chaos allmählich ab – in der Devil’s Night des Jahres 2009 zählte die Stadt nur noch 65 Brände, für Detroiter Verhältnisse eine Lappalie.
Wer The Wire gesehen hat, die Fernsehserie über das Gettoleben in einer amerikanischen Großstadt, und anschließend durch Detroit
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