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Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Titel: Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geert Mak
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Sommer 1959 im südwestenglischen Somerset einquartierten, fanden sie dort ein Alltagsleben vor, das sich seit Jahrzehnten nicht verändert zu haben schien. Autos gab es fast keine, der Bäcker und der Lebensmittelhändler fuhren von Haus zu Haus, der Briefträger machte seine Runde auf dem Fahrrad, das Landhäuschen ließ sich nur mit einem Kohleofen heizen, niemand hatte einen Kühlschrank, von einer Waschmaschine ganz zu schweigen. Gemüse zogen die Steinbecks im eigenen Garten, das Gras mähten sie mit der Sense, Elektrizität gab es erst seit kurzem, Wasserleitungen wurden in jenem Sommer verlegt. Um 1960 hatte der große Wohlstand in Westeuropa gerade erst Einzug gehalten, und die meisten Osteuropäer sollten noch Jahrzehnte darauf warten.
    Amerika faszinierte uns Europäer natürlich schon, sehr sogar. Das war die Zukunft, so musste man leben, mit dem amerikanischen Schneid und dem beneidenswerten Flair! Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts verfasste der junge französische Aristokrat Alexis de Tocqueville einen visionären Reisebericht über das damals nagelneue Amerika. Zusammen mit seinem Freund Gustave de Beaumont hatte er das Land vom Mai 1831 bis zum Februar 1832 bereist, offiziell um das amerikanische Gefängnissystem zu studieren, tatsächlich aber vor allem, um sich einen Eindruck von dieser vollkommen neuen Welt und der wunderlichen Demokratie, in der alle gleich waren, zu verschaffen.
    Sein großes Werk Über die Demokratie in Amerika wurde zum Klassiker, doch eine ergiebige Quelle sind vor allem die Briefe, Notizen und Tagebuchaufzeichnungen, die die beiden unterwegs schrieben. Die jungen Männer waren scharfe und geistreiche Beobachter, und sie hörten und sahen viel, gerade weil sie Außenstehende waren. Tocqueville notierte: »Der Fremde erfährt oft im Heim seines Gastgebers wichtige Wahrheiten, die dieser seinen Freunden vielleicht vorenthielte.«
    Tocqueville und Beaumont hatten würdige europäische Nachfolger, vom britischen Botschafter James Bryce, der Tocquevilles Route exakt nachreiste und 1888 seinen eigenen Klassiker, The American Commonwealth , veröffentlichte, bis hin zu dem Schweden Gunnar Myrdal und seiner legendären Studie über das Verhältnis zwischen den Rassen – An American Dilemma (1944) – und dem Briten Jonathan Raban, der mit Bad Land (1996) eine wunderbare Miniaturgeschichte über eine Farmerfamilie eines kleinen Ortes in der unendlichen Prärie schrieb.
    Und so waren da noch Dutzende andere; neben all den Amerikanern natürlich. Wenn es ein Land gab, in dem fortwährend über die eigene Identität und Rolle in der Welt nachgedacht und geschrieben wurde, dann waren es die Vereinigten Staaten. Was sollte ich dem noch hinzufügen können?
    Andererseits, das sollte ich ehrlich zugeben, war Amerika auch meine geheime Liebe, schon seit Jahrzehnten. Wie viele andere Europäer hatte ich ein kompliziertes Verhältnis zu unseren Halbcousins und -cousinen auf der anderen Seite des Ozeans und zu unserem mächtigen ehemals steinreichen Onkel Dagobert. Das Land war eine unerschöpfliche Quelle von Geschichten und Ideen, und es war immer wieder für eine Überraschung gut. In den achtziger und neunziger Jahren hatte ich die Vereinigten Staaten bereist. Ich war mit dem Zug von Ost nach West gezuckelt und wieder zurück, ich hatte über Wahlen und Drogenkriege berichtet; ich hatte endlose Gespräche und Interviews geführt, hatte mich mit Friedensaktivisten, Lehrern, Polizeichefs angefreundet, hatte an Rodeofestivals und PEN -Kongressen teilgenommen; und am Ende war ich immer wieder am Küchentisch meiner zweiten, amerikanischen Mutter gelandet – denn Amerikaner werden bisweilen schnell ein Teil der Familie. Edith hieß sie, Edith Laub.
    Die Küche von Edith und ihrem Mann Lou war die erste amerikanische Küche gewesen, die ich gesehen hatte; an ihrem Frühstückstisch führte ich meine ersten amerikanischen Diskussionen, in ihrem Haus erlebte ich zum ersten Mal die amerikanische Gastfreundschaft und Großzügigkeit. Ich war vollkommen überrumpelt gewesen an jenem frischen Augustmorgen des Jahres 1979, als wir uns kennen lernten.
    Es war meine erste Reise in die Vereinigten Staaten. Mit zwei Freunden hatte ich einen billigen und wahnsinnig langen Flug gebucht. Im Flugzeug tranken wir zu viele Cuba Libres, allein schon deshalb, weil wir den Namen so witzig fanden, und nach fast zwanzig Stunden torkelten wir in die Wohnung irgendeines Freundes eines Freundes in Berkeley. Dort war

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