Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)
großes Schlammloch. Sein Vater war, nachdem er infolge einer Landwirtschaftskrise Pleite gemacht hatte, Mechaniker bei der Eisenbahn. Nie war auch nur ein Cent extra im Haus, alle arbeiteten sehr hart, und die Familie aß möglichst das, was sie im eigenen Garten anbaute.
Elvis Presely kam in einer selbstgezimmerten Hütte in der ärmsten Gegend der Baumwollanbaugebiete von Mississippi zur Welt. Sein Vater saß wegen einer Scheckgeschichte im Gefängnis, und irgendwann zog die Familie vor Verzweiflung nach Memphis. Elvis: » We were broke, man, broke .« Auch der Vater von Richard Nixon machte bankrott; er betrieb später einen kleinen Laden mit angeschlossener Tankstelle, in dem die ganze Familie mitarbeitete. Nixons Frau Pat wuchs in einer Bergarbeiterhütte in Nevada auf.
John Steinbeck selbst, der aus einer ordentlichen Bürgerfamilie stammte, verdiente in den Jahren, die er mit Ed Ricketts in Monterey verbrachte, praktisch nichts. »Im Kreis unserer festen Freunde gab es keinen Neid auf die Reichen«, erzählte er später. »Wir kannten niemanden, der reich war. Wir dachten, alle leben so wie wir, wenn wir überhaupt darüber nachdachten.«
Zur Einfachheit gehörte das Ideal der Gleichheit. Die meisten Amerikaner der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sahen sich am liebsten als Mitglieder einer mehr oder weniger uniformen Mittelschicht. »Der Reiche raucht dieselbe Zigarettenmarke wie der Arme, er rasiert sich mit dem gleichen Rasierapparat, benutzt das gleiche Telefon, den gleichen Staubsauger, das gleiche Radio, den gleichen Fernseher«, schrieb Harper’s Magazine noch 1947 zufrieden. Zu diesem Ideal gehörte auch ein bestimmtes Gefühl des Relativismus: Man musste nicht immer der Beste sein oder an der Spitze stehen. Steinbeck schrieb einem seiner Freunde: »Im letzten Krieg, als sich die Landungsboote voller ängstlicher Männer der Küste näherten, da brüllten die Sergeanten und Offiziere wirklich nicht: ›Vorwärts, kämpft um Ruhm und Unsterblichkeit!‹ Nein, sie riefen: ›Rein in die Brandung! Wollt ihr ewig leben?‹«
Und doch begann auch die Gleichheit in der amerikanischen Mittelschicht sich zu verändern. Die neuen Automodelle zum Beispiel waren durchaus nach Rang und Stand geordnet: Für den Anfänger gab es den Chevrolet, dann kamen die Pontiacs, die Oldsmobiles und Buicks, und die wirklich Reichen fuhren einen Cadillac. Und nicht nur das, Kaufen und Konsumieren wurde immer mehr zu einer sozialen Norm. Man musste auch einen neuen Pontiac fahren, und wer 1959 noch einen Pontiac aus dem Jahr 1956 vor der Tür stehen hatte, war ein Trottel. Ein neues Auto war die Belohnung für Jahre des Verzichts und der harten Arbeit, so wie es die Anzeigen von Cadillac ständig verkündeten: »Hier ist der Mann, der das Recht erworben hat, am Steuer dieses Wagens zu sitzen!«
Die meisten Familie gaben die traditionelle puritanische Einfachheit nach und nach auf. Der Historiker William Leach beschrieb die Entwicklung einer »Kultur des Verlangens, die das gute Leben mit Gütern verwechselt«. Und sein Kollege David M. Potter beklagte 1954, dass die Gesellschaft derzeit erwarte, dass ein Mann »sein Quantum an Gütern – Autos, Whiskey, Fernseher – konsumiert, indem er einen bestimmten Lebensstandard aufrechterhält, und dass man ihn als ›guten Kerl‹ betrachtet, wenn er sich seinen Teil nimmt, während alle hinter vorgehaltener Hand über die vorsichtige, selbstlose, kleingeistige Sparsamkeit, die eine frühere Generation respektiert hätte, lacht«. Auch dies war ein Bruch zwischen der alten Überlebensgesellschaft und der Konsumgesellschaft: Schulden machen, was man immer als Last, wenn nicht gar als Schande betrachtet hatte, war nun auf einmal ganz normal, es wurde sogar gefördert.
Doch mit dem Begriff »Bruch« muss vorsichtig umgegangen werden. In mancher Hinsicht kann man auch von Kontinuität sprechen. Bereits in den zwanziger Jahren war in den Vereinigten Staaten eine Art Luxuskultur entstanden, und im Jahr 1928 warb der Präsidentschaftskandidat Herbert Hoover sogar mit dem Slogan »Zwei Autos in jeder Garage«. Kurz vor dem Zusammenbruch der Börsen erklärte er, Amerika sei »dem endgültigen Sieg über die Armut näher, als alle Länder es zuvor je waren«. Zwanzig Jahre später wurde dieser Faden wieder aufgenommen.
Aber jetzt ging es um mehr. Eine übergroße Mehrheit der Amerikaner, Junge wie Alte, machte sich nun eine vollständig neue Art zu denken zu eigen. Nach Jahren voller
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