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Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Titel: Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geert Mak
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er sich ausgedacht und was er tatsächlich erlebt habe. Und er wünsche seinen künftigen Biographen viel Glück beim Sortieren von Fiktion und Wirklichkeit.
    Man kann aber auch fragen, ob diese Unterscheidung wirklich wichtig ist. Steinbeck war nun einmal Schriftsteller und kein Journalist. Er wusste, welchen Klotz er sich ans Bein binden würde, wenn er sich auf überprüfbare Fakten beschränken und gewissenhaft recherchieren würde, wie Autoren nichtfiktionaler Texte es müssen, und er dachte gar nicht daran, das zu tun. Dennoch suchte er auf seine Weise nach einer bestimmten Wahrheit, nach dem wirklichen Amerika, wie er es auf seiner Reise erlebte. Tatsächlich erzählt Die Reise mit Charley viel über die amerikanische Nation des Jahres 1960, das Buch verhalf den Zeitgenossen zu neuen Einsichten, schärfte ihren Blick für ihr Land und ihre Gesellschaft. Sie erkannten ihre Wirklichkeit darin wieder – und es wurde ein Riesenerfolg.
    Wenn man Steinbecks Arbeitsweise kenne, schreibt sein Biograph, verstehe man seine Bücher noch besser. »Er liebte die Wörter, ihre Form, ihren Klang, die Geschichte ihrer Bedeutungen, er war fasziniert von den magischen Eigenschaften der Sprache; schon Stift und Papier zu berühren machte ihn glücklich. Hinter so gut wie allem, was er geschrieben hat, stand ein Mann, der das Schreiben genoss, überrascht und entzückt von der Wirkung, die Wörter haben können.«
    Heute ist der 10. Oktober 2010, und es ist warm wie im August. Ganz Chicago ist an diesem Sonntagnachmittag auf den Beinen, um den Marathon zu sehen, und als der Abend hereinbricht, sind die Parks und Straßencafés voll, überall sitzen Familien, Gruppen von Freunden oder Liebespaare. Wir erleben eine ungewöhnlich entspannte Stadt, Spaziergänger, spielende Kinder, Männer in kurzen Hosen, Frauen in Sommerkleidern; das Stadtzentrum hat beinahe wieder ein menschliches Maß gefunden, so gigantisch hier alles auch wirkt. Man glaubt schon die Atmosphäre des Mittleren Westens zu spüren. Das Tempo ist langsamer als in New York, der Atem ruhiger.
    In einem der Straßencafés kommen wir mit dem Paar am Nebentisch ins Gespräch. Geoffrey und seine Frau Sarah sind in Chicago geboren und aufgewachsen und wollen auf keinen Fall woanders leben. Wir sprechen über das Klima, über diese sommerlichen Temperaturen. Steinbeck bekam Mitte Oktober 1960, als er Chicago verließ, schon Frost zu spüren. Und morgen, genau ein halbes Jahrhundert später, werden Höchsttemperaturen von nicht weniger als dreißig Grad erwartet, wieder einmal ein Rekord.
    Das Jahr 2010 sollte sich trotz eines kalten Winters in Nordamerika und Westeuropa als das wärmste seit dem Beginn der Aufzeichnungen erweisen. Das globale Mittel der bodennahen Lufttemperatur lag um 0,62 Grad Celsius über dem Jahrhundert-Mittelwert. Alle zwölf Rekordjahre fallen in die Zeit ab 1997. Unter anderem in Alaska, Kanada und nördlich des Polarkreises herrschten abnorm hohe Temperaturen – eine Kostprobe davon hatten wir in Maine bekommen, im sommerlichen Chicago gibt es nun eine zweite.
    Die meisten Amerikaner reagieren erstaunlich gelassen auf diese Entwicklung, trotz zahlreicher alarmierender Filme und Bücher und trotz der Tatsache, dass sie pro Person doppelt so viel an Treibhausgas freisetzen wie die Europäer. Der Anteil der amerikanischen Wähler, die »solide Beweise« für die globale Erwärmung sehen, ist laut einer Studie des Pew Research Center sogar zurückgegangen, von 77 Prozent im Jahr 2007 auf 57 Prozent im Jahr 2009. Außerdem betrachtet man den Klimawandel hier vor allem als technische Herausforderung und Stimulus für Innovation, nicht als eine Bedrohung, die zu einer Änderung des Verhalten szwingt.
    »Ja«, sagt Geoffrey, »Beschränkung und Energiesparen passen nun mal nicht zu unserer Lebenseinstellung, wir halten Überfluss und Luxus für selbstverständlich. Und viele haben außerdem ein tiefes Misstrauen gegen Politiker und neunmalkluge Wissenschaftler.« Er betreibt eine Website speziell für die Rodeoszene. »Diese Leute glauben wirklich alles, was in Fox News gesagt wird. Ist doch schließlich Fernsehen! Es ist viel schlimmer als vor zehn Jahren. Mein eigener Bruder … ich hänge an ihm, aber wir dürfen nicht über Politik sprechen! Mit diesen Konservativen kann man nicht diskutieren.«
    John Gunther fragte in jeder Stadt, in die er kam, als Erstes: »Wo ist hier die Macht?« Sein Reisebericht liest sich streckenweise wie ein Lexikon der

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