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Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Titel: Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geert Mak
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Whip-O-Will, tatsächlich gegeben hatte. Als Woodburn, ein großer Bewunderer Steinbecks, den Farmer suchte, auf dessen Land unser Held übernachtet haben will, konnte er jedoch weit und breit keine Spur von jemandem finden, der Steinbecks Beschreibung auch nur annähernd entsprach.
    Dafür entdeckte er etwas anderes. Steinbeck hatte mindestens eine Nacht im Spalding Inn verbracht, einem sündhaft teuren Hotel in den Hügeln. Mehrere Zeugen, darunter der Sohn des früheren Besitzers, konnten sich noch gut an ihn erinnern, weil man ihn zunächst wegen seiner schmutzigen Kleidung abweisen wollte. Nachdem er sich als John Steinbeck zu erkennen gegeben hatte, wurde er selbstverständlich mit allem Respekt willkommen geheißen. Er hat also nicht in Rosinante kampiert, mehr noch, von den zwei Übernachtungen bei Lancaster, von denen er berichtet, auf dem Land des weisen Farmers und bei dem Geistermotel, kann zumindest eine gar nicht stattgefunden haben.
    Vermutlich hat Steinbeck die Unterhaltung mit dem Farmer erfunden, vielleicht auf der Grundlage mehrerer tatsächlich geführter Gespräche. Es sind Ungereimtheiten, die vor allem Bill Steigerwald faszinieren. Dabei geht es ihm gar nicht darum, Steinbeck »Fehler« nachzuweisen, er betont, dass er den old guy durchaus schätze, aber sein journalistischer Jagdinstinkt ist nun geweckt. Während er uns vorausreist, sehe ich, dass er sich in seinen Blogs immer mehr auf das Entwirren von Fakten und Fiktion in Die Reise mit Charley konzentriert.
    Ich frage mich, ob die zahlreichen Unstimmigkeiten, die hier praktisch vor meiner Nase aufgedeckt werden, enttäuschend sind. Nein und ja. Steinbeck war ein geborener Erzähler, und er hat gern übertrieben. Jackson Benson, der bei den Recherchen zu seiner Biographie mehr als einmal auf solche Übertreibungen gestoßen ist, urteilte mild: »Er wollte seinem Leben etwas Dramatisches geben.« Und er wollte in erster Linie ein gutes Buch schreiben, eine schöne Geschichte. Man braucht ja nur Steinbecks guten Freund Ed Ricketts mit jenen literarischen Figuren zu vergleichen, denen er als Vorbild diente: »Doc« in Die Straße der Ölsardinen und in Wonniger Donnerstag ist ein ewiger Junggeselle, einsam und romantisch, ein Mann, der hemmungslos feiern und trinken kann, ein treuer Tröster von Huren und Versagern. Nun entsprach Ed Ricketts zum Teil tatsächlich diesem Bild, aber vor allem war er doch ein angesehener Meeresbiologe, der hart arbeitete. Außerdem war er zweimal verheiratet, dazwischen mit einer weiteren Frau liiert, und hatte drei Kinder; nachdem Ricketts und seine erste Frau sich getrennt hatten, hat sein Sohn ihn regelmäßig für längere Zeit besucht. Ein ewiger Junggeselle ist wohl etwas anderes.
    Ein weiteres Beispiel sind Steinbecks Recherchen für Früchte des Zorns . Er erweckte den Eindruck, dass er mit seinem pie wagon bis nach Oklahoma gefahren sei, um die Spuren der armen Migranten zurückzuverfolgen. In Wirklichkeit hat er zwar einige Auffanglager besucht, aber Kalifornien dabei nie verlassen. Zu Anfang lächelte er nur, wenn Freunde und Bekannte von seiner Oklahoma-Expedition sprachen. Doch nach ein paar Jahren erzählte er selbst davon, als habe diese Reise wirklich stattgefunden. Er hatte angefangen, an den selbst geschaffenen Mythos zu glauben.
    Als Autor von Erzählungen und Romanen durfte Steinbeck natürlich so viel erfinden, wie er wollte, das ist literarische Freiheit. Doch Die Reise mit Charley haben er und sein Verlag als nichtfiktionalen Text präsentiert, als Schilderung einer Reise, die wirklich so stattgefunden haben soll. Angesichts derart zahlreicher erfundener »Fakten« beginnt deshalb der Journalist in mir zu murren. Wie weit kann ich mich überhaupt auf Steinbeck verlassen? Stimmt es zum Beispiel, dass er in Michigan kampiert und einen Tag mit dem netten Waldhüter geangelt hat?
    Wenn ich den zeitlichen Verlauf seiner Fahrt unter die Lupe nehme, erscheint mir auch diese Episode als wenig glaubwürdig. Für die gut neunhundert Meilen von Niagara Falls, New York, nach Chicago brauchte er weniger als zwei Tage, wie also sollte er da in aller Ruhe geangelt haben, selbst wenn es nur ein paar Stunden gewesen wären? Es würde mich nicht wundern, wenn er stattdessen auf der langweiligen alten U.S. 20 und der neuen Indiana Toll Road geradewegs nach Chicago gefahren wäre, wo seine Elaine ihn erwartete.
    Später hat Steinbeck bei mehreren Gelegenheiten gesagt, er könne oft nicht mehr unterscheiden, was

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