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Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Titel: Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geert Mak
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Repräsentantenhauses werden täglich von gut organisierten Interessengruppen bearbeitet: Fast fünfzehntausend registrierte Lobbyisten gibt es in Washington, mehr als zehnmal so viele wie bei der EU in Brüssel. Man schätzt den in Washington jährlich für Lobbyarbeit ausgegebenen Gesamtbetrag auf annähernd 9 Milliarden Dollar. Die reichste County der Vereinigten Staaten ist nicht in oder bei Silicon Valley zu finden, sondern in der unmittelbaren Nachbarschaft von Washington, D.C.: Loudoun County, Virginia, ist die Vorstadt mit dem schnellsten Wachstum und die hometown des amerikanischen Lobbyismus.
    Zwei Faktoren sind für die Störung demokratischer Entscheidungsprozesse verantwortlich, für die ständig drohende Lähmung der ganzen Nation: regionale Interessen und das Geld.
    Zuerst die regionalen Interessen. Während in den meisten europäischen Ländern die Amtsperioden gewählter Volksvertreter – wenn man von vorzeitig beendeten Legislaturperioden absieht – mindestens vier Jahre betragen, werden die 435 Mitglieder des Repräsentantenhauses für nur zwei Jahre gewählt. Deshalb muss ein Abgeordneter, sobald er gewählt worden ist, schon anfangen, für seine Wiederwahl zu arbeiten. Viele Mitglieder des Repräsentantenhauses sind in ihrem Heimatstaat fast ununterbrochen im Wahlkampf, und er bestimmt ihre Entscheidungen. Das erwarten auch ihre Wähler; sie sind vor allem daran interessiert, was der oder die Abgeordnete in Washington für sie, für ihren Staat, ihre Region, ihren Ort erreicht, was er sozusagen nach Hause bringt.
    Im ganzen Land häufen sich deshalb Projekte, deren einziger Zweck darin besteht, diesem oder jenem Parlamentarier seinen Sitz im Repräsentantenhaus zu sichern. Ein berüchtigtes Beispiel ist die geplante Gravina Island Bridge in Alaska, für deren Bau das Repräsentantenhaus 233 Millionen Dollar bewilligte – bis bekannt wurde, dass auf Gravina Island gerade einmal fünfzig Menschen leben. Daraufhin wurden die Bundesmittel für die Bridge to Nowhere – vorläufig – wieder gestrichen. Ein anderes Beispiel ist der John Murtha Johnstown-Cambria County Airport bei Johnstown, Pennsylvania, in den Hunderte von Millionen Dollar investiert wurden, für eine Handvoll Fluggäste pro Tag. Zufällig war nämlich congressman Murtha von der Demokratischen Partei der Vorsitzende eines wichtigen Ausschusses, weshalb seine Abgeordnetenkollegen ihn nicht vor den Kopf stoßen wollten. Oder man denke an den republikanischen Senator Richard Shelby aus Alabama, der den Start der ersten Obama-Regierung behinderte, indem er nicht weniger als siebzig Ernennungen blockierte: Er forderte für seinen Staat ein FBI-Labor – an dem das FBI selbst kein Interesse hatte – und die Erteilung eines Auftrags für den Bau eines neuen Tankflugzeugs an Northrop Grumman. Die Liste der Beispiele ist endlos.
    Die Tendenz, regionalen Interessen Vorrang vor allem anderen zu geben, wird eher stärker als schwächer. Das liegt hauptsächlich daran, dass eine Wiederwahl immer mehr Geld kostet. Der Preis der amerikanischen Demokratie ist in die Höhe geschnellt. Für Kennedy und Nixon wurden im Präsidentschaftswahlkampf 1960 insgesamt 24,2 Millionen Dollar ausgegeben, das entspricht etwa 176 Millionen Dollar nach heutigem Wert. Im Jahr 2008 beliefen sich die Wahlkampfkosten für Demokraten und Republikaner zusammen auf gut eine Milliarde, fast sechsmal so viel.
    Kongressmitglieder sind ständig unterwegs und versuchen sich ihrer Wählerschaft und ihren Sponsoren auf möglichst vorteilhafte Weise zu präsentieren. Nach einer Schätzung des Vereins Americans for Campaign Reform kostete ein Sitz »erster Klasse« im Repräsentantenhaus 2008 rund 700 000 Dollar. Im gleichen Jahr wurden für alle Wahlkämpfe zusammen 2,6 Milliarden Dollar ausgegeben – gegenüber 1,7 Milliarden im Jahr 2004.
    All das führt dazu, dass viele Abgeordnete in einer Art sozialer und politischer Isolation leben. Sie geben sich selbst kaum noch die Gelegenheit, in Washington über Parteigrenzen hinweg Bündnisse oder gar Freundschaften zu schließen, was früher noch ganz normal war. Schon dadurch wird das System anfälliger für Polarisierung und Verkrustung; früher wurde es noch durch zwischenmenschliche Kontakte und das Gefühl für Gemeinsamkeiten geschmeidig gehalten. Für Politiker und Politikerinnen wird es immer schwieriger, die politischen Gegensätze zu überbrücken. Der republikanische Abgeordnete Tim Griffin aus Arkansas drückte es,

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