Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)
Während der Großen Depression, vor allem in den Jahren 1934 und 1935, griffen Streiks wie Buschfeuer um sich. Im Frühjahr 1934 traten an der gesamten Westküste die Hafenarbeiter, unterstützt von den Transportgewerkschaften, in den Ausstand. In San Francisco kam es zu einem Generalstreik, der mehrere Wochen dauerte, im Herbst streikten mehr als dreihunderttausend Textilarbeiter in den Südstaaten, die Detroiter Reifenfabriken von Goodyear und Firestone wurden lahmgelegt, bei General Motors gab es Sitzstreiks, sogar die schwarzen Landarbeiter im Süden gründeten – gemeinsam mit ihren weißen Kollegen – eine Gewerkschaft, die Southern Tenant Farmer’s Union. Die Arbeitgeber schlugen zurück: Sie sperrten Streikende aus, mehr als zweitausendfünfhundert Fabriken wurden von bewaffneten Milizen und Agenten der berühmten Pinkerton National Detective Agency bewacht.
Präsident Roosevelt reagierte auf die Welle der teilweise gewaltsamen Arbeitskämpfe mit einem Gesetz, das ein formelles Streikrecht einführte und allen Arbeitnehmern das Recht zur Bildung von Gewerkschaften garantierte; niemand durfte mehr wegen Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft entlassen werden. Bei Arbeitskonflikten war zunächst eine neu geschaffene Bundesbehörde anzurufen, der National Labor Relations Board. Dieses Gesetz, der sogenannte Wagner Act von 1935, die Einführung eines Mindestlohns und der Vierzigstundenwoche und einige andere Maßnahmen des New Deal beruhigten die Beziehungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Und die Gewerkschaften hatten endlich die Chance, in jedem Wirtschaftszweig Organisationen aufzubauen.
Viele Arbeitgeber passten sich der neuen Situation überraschend schnell an. Aber Republic Steel, das drittgrößte Stahlunternehmen der Vereinigten Staaten, untersagte weiterhin jede Form von Gewerkschaftsaktivität. Während eines Streiks in einer der Chicagoer Fabriken zogen am 30. Mai 1937, dem Memorial Day, an die tausend Menschen zum Firmengelände, um dort Streikposten aufzustellen. Die Demonstranten, darunter viele Frauen und Kinder, wurden von ein paar Gewerkschaftlern angeführt; einer trug ein großes Sternenbanner zum Zeichen dafür, dass die Streikenden nur ihre gesetzlich garantierten Rechte wahrnehmen wollten. Doch eine Kette von Polizisten stellte sich der Menge entgegen.
» You got no rights «, riefen ein paar nervöse Polizisten. » You red bastards! You got no rights .« Jemand warf ein paar Äste, die Polizisten begannen zu schießen. Zehn Demonstranten starben, sieben von ihnen waren in den Rücken getroffen worden. Dreißig Menschen wurden durch Schüsse oder Knüppelhiebe verletzt, auch eine Frau und mehrere Kinder. Für keinen der Polizisten hatte das Memorial Day Massacre irgendwelche strafrechtlichen oder disziplinarischen Konsequenzen. Nur Republic Steel wurde ein Jahr später vom National Labor Relations Board dazu verurteilt, siebentausend entlassene Gewerkschaftsmitglieder wieder einzustellen und ihnen den entgangenen Lohn vollständig auszuzahlen. 1942 wurden endlich auch in diesem Unternehmen Gewerkschaften zugelassen.
Clarence Darrow starb im März 1938, erschöpft, krank und verarmt. Er hatte sich als Anwalt manchmal um des Geldes willen für fragwürdige und schmutzige Machenschaften einspannen lassen und war auch nicht davor zurückgeschreckt, einen Richter oder Geschworenen zu bestechen, wenn sich die Gelegenheit ergab. Trotz allem, meint sein Biograph John Farrell, habe Darrows entschiedener Widerstand gegen die scheinbar unangreifbaren Mächte in diesem Land etwas Großes und Heldenhaftes an sich. »Darrow gegen den Apparat wüten zu sehen gab den Amerikanern Kraft.« Er selbst hatte es einmal so ausgedrückt: »Wenn der underdog sich hochgearbeitet hat, wird er wahrscheinlich genauso verdorben sein wie der upperdog , aber bis dahin bin ich auf seiner Seite.«
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John Steinbeck hatte ein Zimmer im Ambassador East Hotel reserviert. Rosinante wurde samt allen überlebenswichtigen Gegenständen wie Angel und Gewehren in einer Garage untergebracht. Charley musste in einen Hundezwinger. Für einige Zeit war Steinbeck nun wieder ein Mann von Welt. In Die Reise mit Charley schildert er, wie er »in zerknautschten Jagdklamotten, unrasiert, leicht verkrustet vom Staub der Reise und mit von der Nachtfahrt rotgeränderten Augen« die Halle des vornehmen Hotels betrat. Er wollte sich dort mit Elaine treffen, die für ein langes Wochenende nach Chicago kam. Es war noch früh am
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