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Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Titel: Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geert Mak
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Amerikas unterhalten haben, über die Dinge, die sie als » rotten « empfanden, wie über Erfreulicheres, natürlich auch über Stevensons Rivalen Kennedy, nach Steinbecks Ansicht ein unverbesserlicher » bed-hopper «. Von der Begegnung mit Stevenson erfährt man aber in Steinbecks Reisebericht nichts, weil es die Kontinuität nur gestört und außerdem, ergänze ich, nicht gut zu seiner Geschichte von Einsamkeit und Entbehrung gepasst hätte.
    Bei der Ankunft in Chicago hatte er Charley in einem Zwinger untergebracht – der Hund hatte vor Wut und Verzweiflung gejault –, und nun setzten sie gemeinsam die Reise fort. Sie mussten sich erst wieder aneinander gewöhnen. »Charley war zwischen drei Gefühlen hin- und hergerissen – Zorn auf mich, weil ich ihn alleingelassen hatte, Freude beim Anblick von Rosinante und purer Stolz auf sein Äußeres.« Denn an dem Wochenende in Chicago war er von Kopf bis Fuß gebürstet, geschoren und gewaschen worden, und nach einer solchen Behandlung war er von sich »so angetan wie ein Mann in einem guten Maßanzug oder eine Frau, die gerade frisch aufpoliert aus einem Schönheitssalon kommt, ein Zustand, in dem alle glauben, sie seien durch und durch so«.
    Es war der 10. Oktober 1960, ein sonniger Herbsttag. Sie fuhren auf dem Highway 12 nach Norden, überquerten die Grenze zu Wisconsin, und Steinbeck war angenehm überrascht von dem, was er dort sah. Den Staat Wisconsin mit seiner bedeutenden Molkereiindustrie hatte er sich als »eine einzige große Viehweide« vorgestellt, deshalb war er nicht vorbereitet auf die Schönheit und den Abwechslungsreichtum der Landschaft, die ansprechende Mischung aus Feldern, Hügeln, Wäldern und Seen. »Das Land troff vor Reichtum, die fetten Kühe und Schweine glänzten vor dem Weidegrün, auf den Feldern stand das Korn in kleinen Rundzelten, wie es sich für Korn gehört, und wo man hinsah, waren Kürbisse.« Und dann dieses Licht: Die Luft war »erfüllt von butterfarbenem Sonnenlicht, nicht dunstig, sondern so frisch und klar, dass jeder frostlustige Baum sich deutlich von den anderen abhob […] Es war ein zauberhafter Tag«.
    Fünfzig Jahre später ist es zur gleichen Zeit richtig warm, die Luft schwer und ein wenig dunstig. Auch jetzt ist Erntezeit, aber man sieht nur noch endlose Felder, nicht mehr den reizvollen Flickenteppich von damals. Mähdrescher fegen die Äcker leer, danach hängt ein gelbbrauner Schleier über dem Hügelland, das pockennarbig und müde wirkt. Die einsame Straße ist schnurgerade, Meile für Meile rollt das Agrarland unter unseren Rädern fort, kaum jemals sieht man alte Gebäude, Straßen, Wege oder Gräben, die von so etwas wie Geschichte erzählen würden. Alles hier scheint neu zu sein.
    Ein langer Güterzug der Canadian Pacific gleitet neben der Straße her. Beim Bäcker in Pine Cone haben die chocolate chip cookies den Durchmesser eines Desserttellers, vor der Theke kommt man sich vor wie ein Kind, wie Alice im Wunderland. Hinter Pine Cone wird die Landschaft allmählich hübscher. Und dann kommen die Wisconsin Dells, zu Steinbecks Zeit noch eine »eigenartige, dunkel leuchtende Landschaft aus Wasser und ausgewaschenen Felsen«; die Gegend erinnerte ihn »an eine Zeit, als die Welt noch viel jünger und ganz anders als heute war«. Die Wisconsin Dells nennen sich inzwischen Water Park Capital of The World, und bei vielen Amerikanern sind sie vor allem wegen Noah’s Ark Water Park beliebt, der so phantastische Fahrgeschäfte wie Jungle Rapids, Bermuda Triangle, Black Thunder, Time Warp, Curse of the Crypt und fünfundvierzig weitere zu bieten hat. Irgendwo wird der alte Zauber der Dells hoffentlich noch zu finden sein, hier jedenfalls nicht.
    Steinbeck übernachtete in Mauston, Wisconsin; von dort hat er Elaine an jenem Abend einen Brief geschrieben. Eine Stelle, an der er vermutlich gestanden hat, ist leicht wiederzuerkennen, ein liebliches, stilles Fleckchen, umringt von Bäumen am Rand eines breiten Flussarms. In Die Reise mit Charley berichtet er von einem Abendspaziergang mit seinem Hund zum Kamm einer Anhöhe. Im Tal dahinter schien sich der Boden zu bewegen und zu atmen. Was er sah, waren zahllose Truthähne, die sich dort dicht zusammendrängten, »ein Reservoir für den Thanksgiving Day«; die Vögel »warteten darauf, rücklings auf den Bratenschüsseln Amerikas zu liegen«.
    In seinem Reisebericht hat er aus zwei Übernachtungen eine gemacht. In Mauston gibt und gab es nämlich nirgendwo eine

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