Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)
anstelle von Gleichwertigkeit verstanden. Wir Wähler wollen uns gegenüber denen, die wir wählen, als gleichwertig empfinden können. Sie sollen unsere Mitbürger sein, nicht mehr und nicht weniger. Das ist ein normales demokratisches Prinzip. Doch vielen Amerikanern, die im Grunde nur Populisten hinterherlaufen, geht es vor allem um Gleichartigkeit: Er – oder sie – soll sein wie wir. Zu den wichtigsten Eigenschaften eines Politikers oder einer Politikerin gehört in den Augen dieser Wähler, dass man »mit ihm ganz normal ein Bier trinken kann«, oder dass sie »eine ganz normale Hausfrau« ist, » just like the girl next-door « – ein Märchen, das die Kandidaten selbst erfunden haben und das sie sich natürlich auf jede Weise zunutze machen.
Wie der Schreiber eines Leserbriefes an die New York Times zu Recht bemerkte, ist die Wahl eines Menschen in das höchste Staatsamt wegen seiner oder ihrer vermeintlichen »Normalität« ebenso vernünftig wie die Entscheidung für einen Zahnarzt wegen seiner »Normalität« statt wegen seiner fachlichen Qualifikation: »Gute Zahnärzte sind nicht wie ›normale Menschen‹.« Doch wenn es um ihren Präsidenten geht, sind viele Millionen Amerikaner offenbar anderer Ansicht.
Das liegt nicht zuletzt an jener Darstellung der Wirklichkeit, die Fox News und andere Fernsehsender den Amerikanern Tag für Tag vorsetzen. Zwar entwickelt sich das Internet rasch zu einer demokratischen Gegenmacht, aber der Einfluss der Mediengiganten ist immer noch gewaltig. Sie spielen gewissermaßen die Rolle privatisierter Parlamente, denn sie entscheiden, wer an der öffentlichen Diskussion teilnehmen darf und wer von ihr ausgeschlossen wird. Dabei geht es weniger um das öffentliche Interesse oder die demokratische Diskussion als um das rating der jeweiligen Sendung, das Einzige, was die Sponsoren – wiederum die mächtigen Lobbygruppen – interessiert. Vorurteile werden bestätigt und gefestigt, Personen und Emotionen stehen im Mittelpunkt, das Präsentierte muss den Zuschauern um jeden Preis gefallen. Wie bei Twenty-One , dem manipulierten Fernsehquiz der fünfziger Jahre, sind Show und Theater ausschlaggebend.
Sender wie Fox News stehen hier in einer alten amerikanischen Tradition: der des ganz und gar parteiischen Mediums. In den dreißiger Jahren, als Steinbeck in Kalifornien wohnte und schrieb, spielte zum Beispiel die Los Angeles Times eine solche Rolle. Diese Zeitung unterstützte uneingeschränkt die mächtigen Unternehmer Südkaliforniens in ihrem Kampf gegen die erstarkenden Gewerkschaften; jede Art von Sozialgesetzgebung stellte sie als gefährliche Bedrohung dar. Wer anderer Meinung war, wurde verbal niedergemacht oder ignoriert. David Halberstam bezeichnete die Los Angeles Times als »offensichtlich unlautere Zeitung«, die das Unwissen und die Vorurteile der Leser noch verschlimmerte. »Die Los Angeles Times war kein Organ der Republikanischen Partei von Südkalifornien, sie war die Republikanische Partei. Sie war penetrant und aggressiv parteiisch.« Die Zeitung hat Politikern zum Erfolg verholfen und Politiker erledigt; einer ihrer Lieblinge hat es sogar bis zum Präsidenten gebracht: Richard Nixon.
Schon 1958 hat Ed Murrow, der berühmte Rundfunk- und Fernsehveteran der CBS , diese Verfilzung von Medien und Politik scharf kritisiert: »Wenn es in hundert Jahren noch Historiker gibt und sie die Sendungen einer Woche von allen drei Networks sichten können, dann werden sie in Schwarz-Weiß und in Farbe alle Anzeichen von Dekadenz und Eskapismus sehen, unsere Art, uns gegen die wirkliche Welt, in der wir leben, abzuschirmen«, sagte er in einer leidenschaftlichen Ansprache vor Rundfunk- und Fernsehchefs in Chicago. »Wenn wir so weitermachen, wird die Geschichte sich rächen, und die Vergeltung wird schließlich auch uns treffen.«
Kurz darauf brach er mit CBS , und CBS mit ihm.
4
John verlebte in Chicago ein paar schöne Tage mit Elaine. »Chicago war eine Unterbrechung in meiner Reise, eine Wiederaufnahme meines Namens, meiner Identität und meines glücklichen Familienstandes«, heißt es in Die Reise mit Charley . Elaine und er besuchten auch Adlai Stevenson in seinem schönen Landhaus in Libertyville und übernachteten dort. Das Haus existiert noch; Bill Steigerwald hat im Adressbuch auf dem Schreibtisch des ewigen Präsidentschaftskandidaten sogar Steinbecks Telefonnummer in Sag Harbor entdeckt.
Stevenson und Steinbeck werden sich angeregt über den Zustand
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