Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)
gerade in Washington angekommen, gegenüber der New York Times so aus: »Viele von uns glauben, dass wir hier einen Auftrag zu erfüllen haben, und zwar jetzt, und wir denken nicht so sehr an die politischen Konsequenzen.«
Nun zum zweiten Faktor, dem Geld. Der Kolumnist Thomas Friedman hat den heutigen Kongress als »Forum für legalisierte Bestechlichkeit« bezeichnet.
Die mit Abstand mächtigste Lobby auf dem Capitol Hill ist die der Wall Street. Nach einer Berechnung, die das unabhängige Center for Responsive Politics auf seiner Website OpenSecrets.org veröffentlicht hat, haben Unternehmen aus der Finanzindustrie – einschließlich der Hypothekenversicherer – in den Jahren 1990 bis 2010 nicht weniger als 2,3 Milliarden Dollar an Wahlkampfspenden aufgebracht. Nach Silicon Valley und Hollywood war die Wall Street jahrelang die wichtigste Geldgeberin der Demokraten. Im Jahr 2008 hat die Finanzbranche Obamas Wahlkampf mit 89 Millionen Dollar unterstützt. Nicht zuletzt dieser Umstand erklärt Obamas merkwürdiges Zögern, wenn es darum geht, den Bankensektor strenger zu regulieren.
Besonders augenfällig ist die enge Beziehung zwischen Goldman Sachs und dem Finanzministerium. Wie in Russland der Inlandsgeheimdienst FSB das Personal für Spitzenpositionen im Staatsapparat liefert, so liefert in den Vereinigten Staaten immer wieder Goldman Sachs die Schlüsselfiguren, die über die Ausrichtung der Finanzpolitik bestimmen.
Auch bei der Diskussion über die Gesundheitsreform wurde viel Druck ausgeübt. Dass es auf diesem Gebiet großen Handlungsbedarf gab, war offensichtlich: Nach einem Bericht der Harvard University aus dem Jahr 2009 mussten jährlich etwa 45 000 Amerikaner nur deshalb sterben, weil sie sich keine Krankenversicherung leisten konnten. Doch die Versicherungs- und Pharmalobbys gaben 2009 und 2010 pro Tag ungefähr anderthalb Millionen Dollar dafür aus, Gesetzesvorhaben in ihrem Sinn zu beeinflussen. Im Jahr 2009 gab es insgesamt 3300 registrierte Lobbyisten im Bereich Gesundheitspolitik, sechs auf jedes Kongressmitglied.
Ph RMA , der Interessenverband der pharmazeutischen Industrie, beschäftigte auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen achtundvierzig PR-Unternehmen. Die Lobby einigte sich schließlich mit dem Weißen Haus auf eine Regelung, die den Pharmaunternehmen weit entgegenkam; zum Beispiel sind die Preise vieler Medikamente nicht verhandelbar. Als Gegenleistung versprach man für 100 Millionen Dollar Fernsehspots zur Unterstützung des Reformprojekts zu finanzieren. Ohne die Zugeständnisse an die Pharmaindustrie wäre die Öffentlichkeit wahrscheinlich mit negativen Beiträgen bombardiert worden.
Die Vereinigten Staaten haben ein viel teureres Gesundheitssystem als jedes andere entwickelte Land, andererseits ist das Steueraufkommen im internationalen Vergleich ungewöhnlich niedrig. Der amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die Haushaltsprobleme des Landes schon gelöst wären, wenn man sich auf beiden Gebieten auch nur halbwegs dem internationalen Standard anpassen würde. Doch das geschieht nicht, weil die amerikanischen Lobbys – in diesem Fall die Pharma- und Medizinlobby und die diversen Interessenvertretungen reicher Steuerzahler – so mächtig sind, dass sie jedes Reformprojekt entgleisen lassen können.
Auf der linken Seite des politischen Spektrums spielen die Gewerkschaften eine ähnliche Rolle. Zum Beispiel hat die American Federation of State, County and Municipal Employees für ihre Klientel sehr vorteilhafte Manteltarifverträge durchgesetzt. Feuerwehrleute und Polizisten können teilweise schon vor dem fünfzigsten Lebensjahr pensioniert werden – die Ausgaben für Renten belasten die Haushalte von Kommunen und Staaten immer mehr. Außerdem gilt für zahlreiche Beschäftigte im öffentlichen Dienst ein besonderer Kündigungsschutz, weshalb auch dringend notwendige Neuordnungen auf lange Zeit blockiert werden können. Aus diesen Gründen ist der öffentliche Dienst oft unnötig starr und teuer. Die Stadt Buffalo beschäftigt heute noch ebenso viele Menschen wie im Jahr 1950, obwohl die Bevölkerungszahl seitdem um fast die Hälfte zurückgegangen ist.
Auf allen Gebieten bestimmen starke Lobbygruppen die Politik zumindest mit. Sind Städte und Staaten, die das Führen von Schusswaffen erlauben, sicherer oder gefährlicher als andere? Eine naheliegende Frage in der Waffendiskussion, und doch gibt
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