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Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Titel: Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geert Mak
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Bauernfamilien gegründet; ihr Pfarrer hatte sie für die Idee begeistert, in die Neue Welt zu gehen und dort katholische Siedlungen zu schaffen.
    Die Neuankömmlinge im amerikanischen Westen empfanden sich nicht als Amerikaner. Sie waren Norweger, Niederländer, Belgier oder Deutsche, die sich selbst in diese endlose Ebene in der Fremde verpflanzt hatten, und sobald sie über die nötigen Mittel verfügten, unternahmen sie geradezu verzweifelte Bemühungen, möglichst viel von der alten Heimat herüberzuholen. Zum Beispiel ließen die deutschen Siedler von New Ulm, Minnesota, im Jahr 1897 auf einer schönen Kuppel eine verkleinerte Kopie des Hermannsdenkmals errichten. Hermann the German , wie das Denkmal im Volksmund hieß, hatte ein hartes Leben. Während des Ersten und Zweiten Weltkriegs wurde der Cheruskerfürst immer wieder von schießfreudigen Patrioten unter Feuer genommen; erst vor kurzem sind die letzten Einschusslöcher wegrestauriert worden.
    Das Erste, was die Belgier von Ghent in Angriff nahmen, war der Bau einer Pfarrkirche, St. Eloy. Und sie eröffneten ein estaminet , ein schmuckes flämisches Lokal. Die Silver Dollar Bar mit ihrer langen Theke, der glänzenden Treppe und dem vielen spiegelnden Glas wirkt noch heute sehr flämisch. Im Dorf werden Meisterschaften in rolle bolle veranstaltet, einer Art Boule, ebenfalls aus Belgien importiert. Wir gehen über den Friedhof, und schon die Namen verraten alles über die Geschichte des Ortes: Blomme, Van Keulen, Claes, Van Uden, Stassen, Rogge, Olieslager. Nicht ein einziges vernachlässigtes Grab, hier fühlt man sich untereinander noch eng verbunden.
    Interessanterweise ist das Klischee des Niederländers, wie es in Europa nicht zuletzt die Belgier pflegen, in Minnesota zum Klischee des Belgiers geworden. Denn hier gelten vor allem die Menschen belgischer Herkunft als fleißig, bauernschlau und geizig, wie einige beliebte Redensarten und Witze zeigen: »Niemand arbeitet härter als sie, nicht mal Gott an den sechs Tagen, als er die Welt erschuf.«. »Wer ist schlauer als ein belgischer Bauer? Ein anderer belgischer Bauer.« »Warum streichen alle Belgier ihre Häuser und Scheunen am gleichen Tag in der gleichen Farbe? Weil die Farbe im Angebot war.«
    Die belgischen Siedler lebten schlicht und sparsam, »mit großen Scheunen und kleinen Häusern«, wie man hier sagt. Und einige wurden reich: Irgendwann konnte man von dem Dorf Cottonwood aus die ganzen dreizehn Meilen bis Marshall gehen oder fahren, ohne ein einziges Mal das Land der flämischen Familie Louwagie zu verlassen.
    Nicht jeder machte hier sein Glück, das Heimweh konnte lähmend sein. Man erzählt sich von einem Belgier, der immer wieder eine Windmühle bestieg, manchmal bei schneidender Kälte, und wie erstarrt über die Ebene in Richtung seines fernen, geliebten Flandern blickte.
    Joe hat mir einmal einen Dokumentarfilm über Ghent gezeigt, den der flämische Sender BRTN (heute VRT ) vor gut zwanzig Jahren gedreht hatte. Da sieht man die großen katholischen Farmerfamilien, die noch das alte bäuerliche Ideal verkörpern; sie bebauen das Land, vertrauen auf Gott und glauben, nur Ihm Rechenschaft zu schulden. »Jedes neue Kind ist eine Überraschung«, sagt eine der kinderreichen Mütter in diesem Film. »Wir sind glücklich über jedes, sie finden schon ihren Weg.«
    Die Kinder und Enkel der ersten Siedler waren als Farmer sehr erfolgreich, auch weil landwirtschaftliche Produkte während des Zweiten Weltkriegs und danach hohe Preise erzielten. Doch in den achtziger Jahren kam die Krise. Einer der Enkel: »Als ich anfing, ging es allen Familienbetrieben noch gut. Inzwischen hat die Hälfte aufgegeben.«
    Im Lauf der Jahre wurden die alten Familienfarmen aufgekauft, die verbleibenden Betriebe wurden immer größer und anonymer. Sie konzentrierten sich auf die Produktion von Mais und Soja für Viehfutter, Bioethanol und Fast Food aller Art. Heute ist Marshall vor allem die Stadt der Tiefkühlpizza; einer der größten Hersteller der Welt, die Schwan Food Company, hat hier ihre Zentrale.
    Amato kannte fast alle Farmer, die Ende der achtziger Jahre vom BRTN interviewt worden waren. »Sie wohnen jetzt bis auf eine Familie alle in der Stadt.«
    Die achtziger Jahre brachten das Ende für small town America . Bei den Einwohnerzahlen, dem Konsum, demWohlstand, der politischen Bedeutung – fast überall bietet sich das gleiche Bild: Mit den kleineren Provinzstädten ging es bergab, die

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