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Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Titel: Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geert Mak
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dass seine Cowboys nicht in der Nähe gewesen seien, um ihre Gewehre auf die Menge zu richten: »Meine Männer sind sehr treffsicher, und sie fürchten sich vor niemand.«
    Zugleich verabscheute er die Exzesse des damaligen Raubkapitalismus, er schimpfte auf das big business und weigerte sich, die gewaltigen Unterschiede zwischen den Menschen, die – wie er sagte – »mehr besitzen, als sie verdienen«, und denen, »die mehr verdient haben, als sie besitzen«, zu akzeptieren. Er begrüßte das Aufkommen von Gewerkschaften, doch zu mächtig durften sie auch nicht werden.
    Ordnung, Gleichgewicht zwischen den unterschiedlichen Kräften, innerhalb Amerikas und in der übrigen Welt, das waren seine Ziele. Die individuelle Freiheit des einzelnen Amerikaners musste infolge dieser Politik nicht in Gefahr geraten, im Gegenteil, es ging ihm gerade um den Schutz dieser Freiheit. Das Aufgabengebiet des Staates, so meinte er, könne »stark erweitert werden, ohne dass dadurch das Glück der Masse oder jedes Einzelnen zu leiden hat«.
    Die Entscheidungen, die er dafür traf, waren bemerkenswert. Sehr bald bekam er den Ehrentitel: » Teddy the Trustbuster «: Mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln versuchte er, die Macht der großen Kartelle – Eisenbahnen, Kohlebergbau, Banken – zu brechen. Als die United Mine Workers im Sommer 1902 die gesamte Steinkohlenindustrie lahmlegten und die Minenbesitzer fest entschlossen waren, keinen Fingerbreit nachzugeben und die Streikenden auszuhungern, schaltete Roosevelt sich ein und drohte, die Minen zu verstaatlichen und die Armee einzusetzen. Die Arbeitgeber waren wütend, gaben aber klein bei.
    Roosevelts Republikanische Partei war damals noch eine breite Volkspartei. Er war ein fanatischer Gemäßigter und sagte von sich: »Ich glaube leidenschaftlich an den gemäßigten Fortschritt.« In Roosevelts Weltbild gab es Platz für Industrielle, aber auch für Gewerkschaften, Farmer und sogar für Schwarze – er lud zum Beispiel Booker T. Washington, den Autor von Up from Slavery (1901), zum Mittagessen ins Weiße Haus ein. Als er sich 1912 erneut um das Amt des Präsidenten bewarb, hatte er Ideen in seinem Programm, die dem New Deal bereits sehr nahe kamen: Sozialversicherungen, gleiche Rechte für Frauen, ein nationaler Gesundheitsdienst.
    Die Roosevelts gehörten zum amerikanischen Patriziertum. Sie stammten von einer aus dem niederländischen Zeeland kommenden Familie ab, die Mitte des 17. Jahrhunderts die Heimat verlassen hatte und an der Ostküste Amerikas vermögend geworden war. Bei Begegnungen mit Niederländern bestand Teddy Roosevelt immer darauf, »ein Holländer« zu sein. In Wahrheit aber besaß er weitaus mehr Ähnlichkeit mit einem jüngeren britischen Zeitgenossen, Winston Churchill. Obwohl sie einander nicht leiden konnten, hatten sie eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten, sie waren der gleiche Typ. Der Historiker Paul Johnson beschreibt sie als »Romantiker-Intellektueller-Mann-der-Tat-Autor-Berufspolitiker«.
    Beide waren zudem das typische Produkt der letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts, einer Zeit, in der jeder in der westlichen Welt lernen musste, mit der umfassenden Industrialisierung und dem Leben in einer modernen Stadt zurechtzukommen, einer Epoche der Erneuerung und Nostalgie zugleich. In Deutschland ließ Kaiser Wilhelm II. in seiner Hauptstadt lauter Denkmäler und pseudoalte Kathedralen errichten, die Briten sonnten sich im Glanz ihrer immerwährenden imperialen Macht, die Niederländer bauten Museen und Bahnhöfe, die aussahen wie gotische Burgen, in Rom entstand eine pseudorömische Zuckertorte zum Ruhm Italiens – überall blühten die kollektiven Phantasien von nationaler Größe.
    In Amerika verhielt es sich nicht anders. Der Historiker Jackson Lears spricht von einer »weitverbreiteten Sehnsucht nach Verjüngung und Wiedergeburt«. »Bekehrung« und »Läuterung« hatten immer schon zu den puritanischen Traditionen gehört, und die Amerikaner bauten sie nun zu einem andauernden Optimismus aus, zu der Vorstellung, dass jeder immer wieder einen unbescholtenen Neuanfang machen kann, starting over und reinventing the self .
    Vor allem die nostalgischen Träume Theodore Roosevelts und anderer spielten bei dieser Suche nach »Echtheit« eine zentrale Rolle. Prägend für diese kollektive Phantasie war der permanente Heldenkampf zwischen »der Zivilisation« und »den Barbaren«. Verlierer kamen darin nicht vor. Mögliche Opfer von militärischen

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