Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)
Operationen – die Indianer, arme Immigranten oder Bürger anderer Länder – zählten nicht. Sie wurden von vornherein miteinkalkuliert.
Lears verlängert in seinem Essay diese Linie bis ins 21. Jahrhundert, bis zum Regime von George W. Bush und Dick Cheney und dahin, dass ihr war on terrorism die »alten, destruktiven Phantasien« wieder wachrief: »der Glaube an Amerikas Fähigkeit, die Welt zu retten; das Vertrauen in die erfrischende Kraft des Kampfes; der Kultus der männlichen Härte in der Außenpolitik«.
Teddy Roosevelt war ein Phänomen. Für das damalige Europa war er die Personifikation des dynamischen, unkalkulierbaren, großartigen und zugleich bodenständigen Charakters des merkwürdigen Landes namens Amerika, das sich jenseits des Ozeans daranmachte, eine bedeutende Rolle im 20. Jahrhundert zu spielen. Diplomaten und Politiker nahm er mit auf anstrengende Wanderungen durch die Wälder Washingtons; im Winter ging er mit ihnen im Potomac schwimmen oder jagte mit ihnen zu Pferd durch die Randbezirke der Stadt. Als der niederländische Gesandte ihm seine Aufwartung machte, zeigte Roosevelt ihm ein paar Jiu-Jitsu-Griffe, die er kurz zuvor gelernt hatte.
Roosevelt war von gedrungener Gestalt. Welche Größenphantasien er hinsichtlich seiner Person und der amerikanischen Nation auch gehegt haben mag, ein Weichling war er sicher nicht. Als ein verwirrter Mann ihm während seines Wahlkampfs 1912 in Milwaukee in die Brust schoss, bestieg er blutend in aller Ruhe das Podium, holte seine fünfzig Seiten lange Rede hervor und begann zu sprechen. Erst als er sich den Papierstapel genauer ansah und ein Loch darin entdeckte, erschrak er – mehr darüber als über das Blut, das von seinen Händen tropfte. Er sprach noch eine Stunde lang und ließ sich erst danach in ein Krankenhaus bringen. Die auf sein Herz abgefeuerte Kugel war, von einem eisernen Brillenetui und dem dicken Redemanuskript abgebremst, in einer Rippe steckengeblieben.
Was Roosevelt auszeichnete, war ein übermäßiger Machismo mit der dazugehörigen Verachtung für jeden, dem es an solch theatralischer Männlichkeit – die er zu Unrecht mit Mut verwechselte – fehlte. Aunties nannte er seine stärker differenzierenden Gegner, »Tanten«, »Schlappschwänze« oder circumcised skunks , beschnittene Stinktiere. Er gehörte auch zu den ersten Politikern, die ihre Gegner mit dem Begriff un-american denunzierten.
Roosevelts Machismo äußerte sich vor allem in seiner Außenpolitik. Er »regelte« den Bau des Panamakanals – was bedeutete, dass er, nach einem misslungenen Versuch, das Gebiet der korrupten kolumbianischen Regierung abzukaufen, einen lokalen Putsch initiierte und in der Region um den Kanal eine Marionettenregierung installierte. Die Soldaten der kolumbianischen Garnison bei Panama wurden mit 50 Dollar pro Mann bestochen, die Offiziere bekamen 10 000 und der General 30 000.
Es war eine Methode, die die Amerikaner noch häufig anwenden sollten. Roosevelt war klar, dass die Vereinigten Staaten im 19. Jahrhundert, von den Europäern unbemerkt, zu einer Weltmacht geworden waren, mit internationaler Verantwortung. Anfangs galt als Richtlinie für die amerikanische Außenpolitik die sogenannte Monroe-Doktrin aus dem Jahr 1823. Die Interessen des demokratischen Amerika und des feudalen Europa seien, so meinte man, prinzipiell gegensätzlich. Im Tausch mit dem Verzicht auf jedwedes neue koloniale Abenteuer eines europäischen Staates in Nord- oder Südamerika – das man als Akt der Aggression betrachten werde – boten die USA an, sich ihrerseits nicht in europäische Angelegenheiten einzumischen.
Die Amerikaner verhielten sich, auch im 19. Jahrhundert, nicht still. Aus einer Übersicht, die 1962 vom State Department veröffentlicht wurde, geht hervor, dass sich die Vereinigten Staaten in der Zeit von 1798 bis 1895 nicht weniger als hundertdreimal in die Angelegenheiten anderer Länder einmischten, von einer militärischen Intervention in Argentinien im Jahr 1852, um während einer Revolution amerikanische Interessen zu wahren, bis hin zur Inthronisation eines Vasallenregimes auf Hawaii 1893.
Ab 1880 drängten die amerikanischen Farmer und Exportunternehmen jedoch immer stärker auf eine Außenpolitik, die weiter reichte. Ausländische Märkte waren für sie schließlich lebenswichtig. »Wir brauchen Räume, wo wir unsere Überschüsse loswerden können«, schrieb die United States Export Association. Niemand wollte neue Kolonien
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