Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)
Gegners, wie übrigens auch in späteren Kriegen. Die Sioux und die Cheyenne waren hervorragende Bogenschützen, und ihre Krieger hatten sich so gut versteckt, dass niemand sehen konnte, woher die Pfeile kamen – und kein Pulverdampf konnte sie verraten. Wenn 1000 Männer in der Schlacht je 10 Pfeile abgeschossen haben, dann waren das insgesamt 10 000 Pfeile, etwa 40 auf jeden Soldaten. Was die Feuerwaffen anging, so waren sie kaum schlechter ausgestattet als die Armee. Dennoch waren es nicht die Indianer, die die Konfrontation suchten, sondern der tollkühne Custer – entgegen dem Befehl seiner Vorgesetzten. Mit den bekannten Folgen.
In Die Reise mit Charley kratzt Steinbeck nicht an Custers heldenhaftem Image, doch in einem Brief an Elaine ist er ehrlicher: »Ich verdrückte eine Träne für Custer, the dumb bastard. « Zu Recht. Custer beging noch dazu den Fehler, seine Truppen in drei Einheiten aufzuteilen. Die militärische Auseinandersetzung am Little Bighorn bestand daher aus drei verschiedenen Kämpfen rund um das Lager von Sitting Bull. Alle drei endeten für die Kavallerie mit einer Niederlage, doch ausgerechnet Custers Kompanien wurden bis auf den letzten Mann getötet, einschließlich Mark Kellogg, den embeded Berichterstatter der Bismarck Tribune . Und natürlich Custer selbst. Die meisten Soldaten der beiden anderen Kompanien konnten entkommen.
Doch wie üblich wurde Custers Niederlage rasch zu einem Mythos umgedeutet. Steinbeck verweist in seinem Reisebericht auf das berühmte Gemälde The Last Stand von Frederic Remington, auf dem man Custer stolz auf einem Hügel stehen sieht, umgeben von seinen kämpfenden und sterbenden Soldaten: »Ich nahm den Hut ab und gedachte der tapferen Männer, und Charley salutierte auf seine Weise, aber ich glaube, mit großem Respekt.« Es ist die klassische Geschichte vom Soldatenmut: Die letzten Männer, die, wider besseres Wissen, die letzte Stellung gegen eine überwältigende feindliche Übermacht verteidigen. Wer so verliert, gewinnt ewigen Ruhm. George Custer, unerschrocken, für immer jung, wurde der James Dean des 19. Jahrhunderts.
Vom tatsächlichen Ablauf des Kampfes konnte kein Weißer berichten. Es gibt die Aussage eines Soldaten, Peter Thompson, zweiundzwanzig Jahre alt, der dem Schicksal entging, weil sein Pferd zu lahmen begann. Er stieg ab, da sich seine Sporen gelockert hatten, aber seine Finger zitterten so vor Angst, dass er keinen Knoten mehr machen konnte. Das sagt viel über die Stimmung der einfachen Soldaten in Custers Truppe.
Captain Frederick Benteen, der zwei Tage nach dem Kampf das Schlachtfeld entdeckte und inspizierte, konnte darin, wie die Gefallenen auf dem Gelände verstreut lagen, kein Muster entdecken. »Es war ein ungeordneter Rückzug, Panik, bis der letzte Mann getötet war.«
Aus archäologischen Untersuchungen ergibt sich dasselbe Bild. Indem Kugeln und Hülsen mit Metalldetektoren aufgespürt und den Waffen, die die Kavalleristen benutzten, zugeordnet wurden, konnten die Bewegungen der Soldaten auf dem Schlachtfeld recht gut rekonstruiert werden. An einigen Stellen sind Spuren von organisiertem Widerstand zu finden, aber ansonsten rannte jeder um sein Leben. Alles war viel schneller vorbei, als die Custer-Legende uns glauben machen will. Die ganze Schlacht dauerte möglicherweise nicht länger als zwanzig Minuten.
Das passt zu den Schilderungen der Indianer, die auf der anderen Seite kämpften. In den zwanziger Jahren hat Thomas Marquis, ein Arzt, der bei den Cheyenne arbeitete und ihre Sprache beherrschte, Dutzende alte Veteranen interviewt. Auch seine Erkenntnisse widersprechen der Heldengeschichte: Die meisten Soldaten Custers waren in blinder Panik, manche begingen Selbstmord, um ja nicht in die Hände der Indianer zu fallen. »Sie wurden vollkommen wahnsinnig«, berichtete einer der Krieger. »Viele von ihnen warfen ihre Waffen weg und hoben die Hände über den Kopf. Sie riefen: ›Sioux, sei gnädig, nimm uns gefangen.‹ Keiner überlebte.« Andere schossen in den Boden oder in die Luft, wurden wild vor Angst. Wieder andere schienen wie gelähmt und konnten kaum noch ein Gewehr bedienen.
Für die Indianer hatte die legendäre Schlacht am Little Bighorn etwas von einer Bisonjagd. Diese Vorstellung war für die Amerikaner so empörend, dass Marquis 1934 keinen Verleger für sein Manuskript fand. Es dauerte gut vierzig Jahre, bis es schließlich 1976 endlich veröffentlicht wurde.
Mit riesigen Wohnmobilen und
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