Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)
»strukturell unzureichend«. Die Straßen rund um Los Angeles erinnern stark an die heruntergekommenen Autobahnen im ehemaligen Ostblock.
Und auch auf ein anderes Problem, das wir aus jener Zeit kennen, stößt man in vielen amerikanischen Städten: alte und verrostete Wasserleitungen, die in den merkwürdigsten Momenten platzen und kleine Fontänen verursachen. Die Wasserleitungssysteme stehen ganz unten auf der Liste, wenn es um den Unterhalt der Infrastruktur geht. Von der American Society of Civil Engineers erhalten sie die schlechteste Note, ein D–. Ein Sprecher: »Wir verlassen uns auf Wasserleitungen, die von unseren Urgroßeltern angelegt wurden, und keiner will für die Kosten der jahrzehntelangen Vernachlässigung aufkommen.«
In immer mehr Städten wird, um Energie zu sparen, ein Drittel der Straßenlaternen – oder mehr – ausgeschaltet. Im Fernsehen sieht man Bilder von Feuerwehrleuten in Los Angeles, die auf der Straße Geld sammeln, um weiterhin ihre Arbeit machen zu können. Amerikaner fliegen gerne, doch immer mehr große Flughäfen sind wegen zahlloser Verspätungen berüchtigt: zu wenig Fluglotsen, zu geringe Kapazitäten, keine ausreichenden neuen Investitionen. In den Top Ten der weltweit schlechtesten Flughäfen auf Frommers Reise-Website stehen nicht weniger als vier amerikanische: Der John-F.-Kennedy-Airport in New York (Terminal 3) auf Platz 1, La Guardia (Terminal C), ebenfalls in New York, auf Platz 7, Newark Liberty auf Platz 8 und Chicago Midway auf Platz 10.
» Public poverty «, öffentliche Armut, so bezeichnete der Wirtschaftswissenschaftler John Kenneth Galbraith dieses Phänomen in seinem Buch Die Gesellschaft im Überfluß (1959). Bereits Ende der fünfziger Jahre beobachtete er, wie die amerikanische Gesellschaft immer mehr aus dem Gleichgewicht geriet: Die Geschäfte quollen über vor Luxusgütern für den Privatkonsum, während man sich immer weniger um den öffentlichen Sektor sorgte. Er entwarf ein Zukunftsszenario von einem Ausflug einer amerikanischen Familie: In einem malven- und kirschfarbenen Wagen mit Servolenkung und Klimaanlage fährt sie durch Städte, deren Straßen Löcher haben und die gesäumt sind von Müllhaufen und verfallenen Gebäuden; überall baumeln Strom- und Telefonleitungen von den Masten. Sie picknickt mit sorgfältig verpacktem Essen aus einer tragbaren Kühlbox am Ufer eines verschmutzten Bachs. »Kurz bevor sie auf ihren Luftmatratzen unter dem Dach ihres Nylonzeltes, umgeben von dem Gestank faulender Abfälle, einschlummert, möge sie sich vage Gedanken über die seltsame Unterschiedlichkeit ihrer Genüsse machen.« Ist dies wirklich das geniale Amerika?
Galbraith und Steinbeck waren gut befreundet, und sowohl in Die Reise mit Charley als auch in Amerika und die Amerikaner beschreibt Steinbeck diese Fehlentwicklung, und das mit zunehmender Beunruhigung.
Nach Ansicht der meisten Ökonomen bekommt ein Land früher oder später ernsthafte Schwierigkeiten, wenn die Staatsschulden auf über 90 Prozent des Bruttosozialprodukts steigen. Ein solcher Staat muss zu viel Energie für Zinsen und Tilgung aufwenden, so dass kaum noch Mittel für Wachstum und Modernisierung bleiben. In manchen südeuropäischen Schuldenländern ist das bereits der Fall, und die Vereinigten Staaten nähern sich allmählich diesem Punkt. Das ist die Folge einer Kampagne gegen den öffentlichen Sektor und die öffentliche Verwaltung im Allgemeinen, die bereits seit den achtziger Jahren geführt wird. Konservative Gruppen innerhalb der Republikanischen Partei, TV-Syndikate wie Fox News und Radio-Talkshows wie die von Michael Savage geben dabei den Ton vor, und so langsam wird die Wirkung überall sichtbar.
Zu Zeiten von Präsident Eisenhower sorgten die Unternehmen für ein Viertel des Steueraufkommens, und die reichsten Amerikaner zahlten einen Spitzensteuersatz von 90 Prozent. Deshalb waren die Vereinigten Staaten in der Lage, das Interstate-Highway-Netz zu bauen, die Sozialhilfe zu bezahlen, Westeuropa militärisch und wirtschaftlich zu unterstützen, Schulen und Universitäten zu finanzieren, ihre Straßen, Brücken und Nationalparks zu unterhalten und Armstrong, Aldrin und Collins zum Mond fliegen zu lassen. Heute sind die Steuereinnahmen beträchtlich gesunken. Lediglich 2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts werden für die Infrastruktur von Straßen und Wasser ausgegeben, weniger als die Hälfte von dem, was Europa aufwendet, und weniger als ein Drittel des Betrags,
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