Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)
Raum: nach Speisen, Desinfektionsmitteln, starken Deodorants. Dazu gibt es die passenden Gerichte: heritage pork paté , »Tony G’s« clam chowder , black diamond bacon cheeseburger , 8-ounce skirt steak , hier wird aus dem Vollen geschöpft. Nur die Serviererin mit ihrer unbeholfenen Mimik und dem scheuen Blick kann nicht ganz mithalten.
Draußen ist es endlich frisch und kühl. Wir machen einen kleinen Abendspaziergang; wieder im Zimmer, öffnen wir weit das Fenster. In den Hügeln ist es still, man hört nur die Nadelbäume rauschen. Die Nachbarn kommen nach Hause. Kurz darauf ein Geräusch, als führe ein Zug vorbei oder ein Mähdrescher, aber es ist die unvermeidliche Klimaanlage, die immer eingeschaltet wird, egal, wie kühl es draußen ist. Die ganze Nacht dröhnt das Ding.
Maschinen. Nur auf sie scheinen Amerikaner zu vertrauen, nur Maschinengeräusch scheint ihnen ein Gefühl der Sicherheit zu geben, deshalb muss selbst frische Luft noch maschinell verpackt werden. Deshalb liefen die Motoren der Busse an der Pier von Orient Point eine Dreiviertelstunde lang, und deshalb sahen wir Tag für Tag Lastwagen, die mit laufendem Motor geduldig auf die Rückkehr ihrer Fahrer vom Lunch warteten. Die sinnlose Vernichtung von Stille, die unvorstellbare Energieverschwendung – so absurd, dass es einem den Verstand raubt, aber hier scheint das jeder für selbstverständlich zu halten. Es erinnert mich an russische Hotelzimmer, deren ventillose Heizkörper immer glühend heiß sind, weshalb man die Raumtemperatur nur regeln kann, indem man auch bei Eiseskälte das Fenster mehr oder weniger weit öffnet. In Amerika hat es etwas mit Überfluss zu tun, mit der Freigebigkeit dieses Landes, die nicht enden darf.
Ich liege also wach wie damals Steinbeck und lese noch einmal seine Wiedergabe des Gesprächs mit dem Farmer. Heute kann man sich nur noch schwer vorstellen, in welcher Furcht die Menschen, im Osten und im Westen, angesichts der permanenten Bedrohung durch einen allesvernichtenden Atomkrieg lebten. Der erste sowjetische Kernwaffentest am 29. August 1949 hatte der amerikanischen Triumphstimmung der Nachkriegsjahre mit einem Schlag ein Ende bereitet: Auch die Kommunisten hatten nun die Bombe. Und die Kriegsfurcht war keineswegs unbegründet. Dreizehn Jahre später, während der Kubakrise, stand die Welt tatsächlich am Rand des Abgrunds. Und diese Furcht machte die amerikanische Gesellschaft anfällig für das auch uns nur allzu bekannte Gift: Lügenkampagnen von Medien und Politikern, Jagd auf Sündenböcke, üble Nachrede und haltlose Verdächtigungen.
Plötzlich fällt mir auf: Auch Steinbeck und der Farmer sprechen über die Atmosphäre der Angst, aber ohne Ross und Reiter zu nennen. Das ist typisch für jene Zeit. »Ich glaube, dies wird die geheimste Wahl, die wir jemals hatten«, sagt der Farmer. »Die Leute wollen um keinen Preis eine Meinung äußern.« Das sei früher anders gewesen, er erinnere sich an Wahlen, vor denen es heftige Diskussionen gegeben habe. Steinbeck stimmt ihm zu: Die Menschen sagen nicht, was sie denken.
Diese Vorsicht gehörte vermutlich zu den Nachwehen der McCarthy-Ära mit ihrer Kommunistenjagd. Der Kreuzzug des republikanischen Senators Joseph McCarthy hatte knapp fünf Jahre gedauert, und noch im Wahljahr 1960 verpestete der Brandgeruch der Scheiterhaufen die Luft. Seit Anfang 1950 hatte dieser Mann, der mit der Angst der Menschen spekulierte und einen ausgeprägten Sinn für das Theatralische besaß, überall »rote Infiltranten« und »Kommunisten« entlarvt: an den Universitäten, im Pentagon und im Außenministerium, am Broadway, in Hollywood, in Rundfunk und Fernsehen, später auch bei den Vereinten Nationen. Dabei nutzte er geschickt die Möglichkeiten des neuen Mediums Fernsehen.
»Eine bösartige Zeit« nennt der Journalist und Historiker David Halberstam die fünfziger Jahre: »Das Land war reif für Hexenjagden.« Wer amerikanische Zeitungsarchive durchsieht, kann nur staunen über die Propagandaschlachten des Kalten Krieges, wie sie Tag für Tag auf den Titelseiten ausgetragen wurden, auch noch im Herbst 1960. Kommunistische Regime hatten Osteuropa und China übernommen, die Berlin-Blockade war noch frisch im Gedächtnis, erst recht die Niederschlagung des Ungarischen Volksaufstandes. In Korea war 1951 die rote Gefahr mit knapper Not gebannt worden; dieser heute fast vergessene Krieg, der Hunderttausende Chinesen und Koreaner das Leben kostete, hatte auch den
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