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Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Titel: Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geert Mak
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fühlte er sich so stark, dass er sogar die Armee anzugreifen wagte, wie üblich mit viel Trara. Doch diesmal hatte er zu hoch gepokert. Während einer Anhörung, die landesweit live im Fernsehen übertragen wurde, konnte er keinen einzigen Beweis für seine Anschuldigungen vorlegen. Es war der Anwalt der Armee, Joseph Welch, der ihm schließlich den vielleicht entscheidenden Schlag verpasste: »Sie haben schon genug getan. Haben Sie denn überhaupt keinen Sinn für Anstand, Sir? Ist Ihnen gar kein Sinn für Anstand geblieben?« Im Dezember 1954 wurde McCarthy vom Senat wegen unpassenden Verhaltens gerügt. Seine Alkoholsucht verschlimmerte sich, zweieinhalb Jahre später starb er.
    Es bleibt die Frage, was diesen Joseph McCarthy eigentlich antrieb. Nach Ansicht seines Biographen Richard Rovere ging es ihm nicht um politische Macht. Nicht einmal die Idee zu einer antikommunistischen Kampagne stammte von ihm selbst; ein Priester hatte ihn während eines Mittagessens auf diesen Gedanken gebracht, als McCarthy ihn fragte, wie er bekannt werden könne. Er war einfach einer der vielen Brandstifter, die in der Geschichte mit einer gewissen Regelmäßigkeit auftreten und überall große Aufregung verursachen, aber nichts Konstruktives leisten, eine narzisstische Persönlichkeit.
    McCarthys Vorgehen verursachte in erster Linie politisches Chaos und sehr viel persönliches Leid. Seinen »Erfolg« verdankte er seinen Schlagworten. Der heute geläufige kommunikationswissenschaftliche Begriff war noch nicht erfunden, doch McCarthy war ein Meister im »Framing«, der Methode, jedes komplexe Problem – auch und gerade, wenn es um potentiell Gefährliches geht – durch Einfügung in einen schlichten Deutungs-»Rahmen«, also mittels griffiger Parolen, auf eine einfache, reizvolle Unwahrheit zu reduzieren. Die Journalisten liebten ihn, er warf ihnen Tag für Tag mundgerechte Neuigkeiten und Phrasen hin, und sie stürzten sich darauf, auch wider besseres Wissen. McCarthy habe wunderbaren Stoff geliefert, meinte einer dieser Journalisten später. »Meine Geschichten waren durch nichts von den Titelseiten zu vertreiben, vier Jahre lang.«
    Er sei der begabteste Demagoge der amerikanischen Geschichte gewesen, schreibt sein Biograph. Davon abgesehen war er nichts als destruktiv, ein Rebell ohne Vision, a rebel without a cause . Was ihm nützte, war der Geist einer Zeit der Veränderung, der Verwirrung, der Unsicherheit.
    Unsere Abreise aus dem Mountain Club Hotel am nächsten Morgen glich einer Flucht. Erst nach einer halben Stunde, als wir an einem Aussichtspunkt in den Bergen Pause machten, verschwand das Dröhnen der vielen Klimaanlagen allmählich aus meinem Kopf. Die Wälder waren still, weit, grün mit gelben und roten Einsprengseln; je wärmer es wurde, desto mehr Wald gab der blaue Morgennebel frei. An Stellen wie dieser ließ Steinbeck Charley das Revier markieren, während er selbst auf dem Treppchen am Heck von Rosinante saß, Kaffee trank und dem Plätschern eines Bachs und dem Springen der Forellen lauschte.
    Das kann man hier immer noch tun, aber etwas hat sich verändert: Die Autofahrer, die Steinbeck vorbeikommen sah, und die Leute, mit denen er sprach, waren fast ausnahmslos wegen ihrer Arbeit unterwegs – Farmer, Waldarbeiter, hin und wieder Vertreter. Auch John Gunther reiste hier noch durch ein Land von arbeitenden Menschen: »Spröde, verschlossen, misstrauisch gegenüber Fremden, bescheiden, sehr individualistisch und ausgestattet mit einem starken Überlebenswillen.« Heute sieht man überall Touristen, Wanderer, Urlauber, Passanten, die vor allem schauen und genießen; an vielen Orten sind sie sogar in der Überzahl. Viele von ihnen sind in Geländewagen mit Allradantrieb unterwegs, obwohl es weit und breit keine Schlamm- oder Geröllpisten gibt.
    Auch der als scenic vista bezeichnete Aussichtspunkt ist nur zum passiven Konsumieren da, die Aussicht wird uns vom Forest Service serviert, der für die Bewirtschaftung und Erhaltung des Waldes zuständig ist, so steht es auf den Schildern. Es folgen noch ausführliche Erklärungen zu den verschiedenen Zonen, in die das Gebiet eingeteilt ist. Viele Besucher verhalten sich auch entsprechend passiv, bleiben in ihren Autos sitzen, starren durch die Windschutzscheibe, als sähen sie die Natur auf einem Bildschirm, und rollen weiter zum nächsten Erlebnis dieser Art.
    Allmählich verändert sich die Landschaft. Felder auf sanft geneigten Hängen liegen friedlich in der

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