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Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Titel: Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geert Mak
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Mittagssonne, im Wechsel mit Wäldchen und Baumreihen. Die strengen Rasen vor den Farmhäusern künden von Disziplin, an den Masten flattert stolz die Flagge. Neben den Scheunen sieht man hier und da schlichte kleine Kirchensäle, einige verfallen, schmutzig und mit überwucherten Türstufen, andere sind gut erhalten und noch in Gebrauch. Das ist das alte Amerika, in dem Konfession neben Konfession existierte und Sekte neben Sekte, in unfreiwilliger Toleranz, denn anders als in vielen europäischen Ländern hatte keine Konfession die Vorherrschaft.
    Nachdem die »Pilgerväter« die Überfahrt in die Neue Welt gewagt hatten, folgten immer wieder andere Gruppen frommer Kolonisten: schottische Presbyterianer, englische Anglikaner, Puritaner und Quäker, niederländische Kalvinisten, norwegische, schwedische und deutsche Lutheraner, niederländische und deutsche Täufer, irische Katholiken, flämische und niederländische Juden, außerdem die Anhänger zahlloser kleiner Sekten, die sich als »Kinder Israels« unerschrocken auf die Reise in das neue Zion begaben. Um 1750 kam in Neuengland eine Konfession auf sechshundert Seelen, anderswo sogar nur auf fünfhundert.
    In Amsterdam habe ich einmal in der Nähe des Barndesteeg gewohnt, einer engen Nebenstraße am Rand des Rotlichtviertels. Bei Recherchen für ein kleines stadtgeschichtlichen Forschungsprojekt entdeckte ich, dass dort noch im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts verfallene Überreste eines düsteren Kirchengebäudes gestanden hatten, ein »fahles Scheusal«, wie es ein Augenzeuge aus den letzten Jahren der Ruine ausdrückte, »ein morsches Überbleibsel eines unheimlichen puritanischen Bethauses, ergraut und aussätzig mit seinen zerbröckelnden Mauern …« Es war die Kirche der sogenannten Brownisten, einer religiösen Gruppe, die ursprünglich aus England stammte; Ende des 16. Jahrhunderts hatten sich einige Dutzend Familien in Amsterdam niedergelassen.
    Die Brownisten waren eine pietistische Bewegung, der es um individuelle und »reine« Glaubenserfahrung ging. Angeführt von einem gewissen Robert Browne, hatten sie sich zwischen 1575 und 1580 von der offiziellen Kirche abgespalten. Deren Pfarreien waren nach Brownes Überzeugung »Sündenpfuhle« in der Gewalt des »Antichristen« selbst. Er hielt es für die Pflicht jedes Christenmenschen, nach größtmöglicher »Reinheit« – purity – des Lebens und Glaubens zu streben. Die etablierte Kirche sei durch Besitz und Macht korrumpiert; an ihre Stelle sollten unabhängige Gemeinden treten, deren Angehörige selbst Gottes Wort verkünden konnten.
    Sekten dieser Art waren es, die schon während des 17. Jahrhunderts in großer Zahl nach Nordamerika auswanderten; nicht wenige von ihnen suchten zunächst in den vergleichsweise toleranten Niederlanden Zuflucht. Brownes Sekte wurde in England verfolgt. (Shakespeare spielt darauf in Was ihr wollt mit der Äußerung an: »ich wäre eben so gern ein Pietist [im Original Brownist !] als ein Politikus.«) Browne und viele seiner Anhänger flohen über Middelburg nach Amsterdam, wo sie am Anfang in großer Armut lebten; im Jahr 1620 begab sich ein Teil von ihnen nach Southhampton und fuhr von dort mit den »Pilgervätern« auf der Mayflower in die Neue Welt. Eine andere Gruppe, die sich 1609 von den Brownisten abgespalten hatte und 1611 nach England zurückgekehrt war, wurde zur Keimzelle der baptistischen Bewegung, die in den Vereinigten Staaten später ebenfalls viele Anhänger finden sollte.
    Je verbissener sich die in Amsterdam verbliebenen Brownisten um »Reinheit« bemühten, desto heftiger und absurder wurden die inneren Streitigkeiten – beispielsweise über den Umfang des Hutes und die Ärmelstickereien einer Predigergattin. Im Lauf der Zeit traten die meisten zur Nederduits Gereformeerde Kerk über, der Staatskirche der niederländischen Republik. Einer der »Pilgerväter« bemerkte dazu: »Sie verfielen in die Irrtümer der Niederlande, in denen die meisten sich samt ihrer Namen begraben haben.« Im April 1701 beschlossen die letzten fünf Brownisten, die Gemeinde aufzulösen, 1910 wurden die Überreste ihrer Kirche abgerissen, und so verschwanden sie aus der Geschichte.
    Eine weitere Gruppe frommer Pioniere waren die sogenannten Shaker oder Shaking Quakers , die in ihrem Reinheitsstreben noch viel weiter gingen als die Puritaner. Nach dem Vorbild ihrer charismatischen Anführerin Ann Lee – »Mother Ann« – wollten sie ein Leben ganz ohne Sexualität

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