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Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Titel: Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geert Mak
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Antiquitätengeschäft mit angeschlossenem Secondhandladen. Alle möglichen Gebrauchs- und Ziergegenstände aus Steinbecks Zeit konnte man dort als Antiquitäten käuflich erwerben: Tische und Stühle, Kartenspiele, Briefwaagen, braune Sessel, Puppenstuben, Kaffeemühlen, Pfeifenregale, Bücher mit Titeln wie The Golden Widow , The Boy Allies of the Navy und The Golden Boy on the River Drive , eine elektrisch angetriebene Domestic-Nähmaschine, ein Foto von einem strengen Ahnen, ein Waschbrett aus Zink, ein Kinderwagen mit riesigen Rädern, eine Biographie von Abraham Lincoln, ein verrostetes Raleigh-Fahrrad, ein kleines selbstgebasteltes Segelschiff.
    Bei Europäern ist das Gefühl, zu Hause zu sein, oft weiter gefasst. Es kann auch die vertraute Umgebung des Wohnortes miteinschließen, und oft bezieht es sich auf das gesamte Land. » Home « steht in Europa für die Nation als Ganzes. In Amerika konzentriert sich dieses Gefühl in hohem Maße auf die Wohnung und auf alles, was Haus und Herd repräsentieren: die Verwandtschaft, die Familie. Darum hat » home « – oder der Begriff »Familie« – in den Vereinigten Staaten auch eine derart große politische Ladung: Das Zuhause ist eine kleine Nation für sich.
    Gleichzeitig ist Amerika das ruheloseste Land, das ich kenne. Jedes Jahr zieht einer von sechs Amerikanern um, während in Deutschland und den Niederlanden nur jeder Zehnte die Wohnung wechselt. Zwischen 1995 und 2000 zogen 120 Millionen Amerikaner in einen anderen Ort, 40 Prozent der gesamten Bevölkerung. Laut den Zahlen des U.S. Census Bureaus geht nur einer von vier Jugendlichen davon aus, als Erwachsener in der Heimatstadt wohnen zu bleiben. Und auch den Job wechseln Amerikaner ebenso oft: Der durchschnittliche Japaner bleibt gut elf Jahre beim selben Arbeitgeber, der durchschnittliche Deutsche und Franzose gut zehn Jahre, der Amerikaner weniger als sieben.
    Ihr augenscheinlich solides » home « entpuppt sich bei näherem Hinsehen oft als leichte und nicht auf lange Haltbarkeit berechnete Konstruktionen, jedenfalls im Vergleich zu den massiven steinernen Gebäuden, die Europäer zu errichten pflegen. Bereits Charles Dickens bemängelte auf einer Lesereise durch das Amerika des 19. Jahrhunderts an den Bostoner Einkaufsstraßen, dass alles so wenig dauerhaft und sehr provisorisch sei, ohne jede Vergangenheit, die dem Ganzen einen gewissen Kontext und Wert verleihen würde.
    »Man ist beim Anblick dieser seltsamen Rastlosigkeit, die sich bei so vielen glücklichen Männern gerade inmitten ihres Überflusses zeigt, zuerst erstaunt«, schrieb Alexis de Tocqueville nach seiner Reise 1831. »Ein Mensch baut in den Vereinigten Staaten sehr sorgfältig ein Wohnhaus, um seine alten Tage darin zu verbringen, und er verkauft es, während man den Giebel des Hauses aufsetzt; er legt einen Garten an, und wenn er dessen Früchte kosten könnte, verpachtet er ihn; er macht ein Feld urbar und überläßt es anderen, die Ernte einzuheimsen. […] Wenn seine Privatgeschäfte ihm etwas Ruhe lassen, so stürzt er sich alsbald in die Wirbel der Politik. […] Endlich kommt der Tod und gebietet ihm Halt, bevor er dieses nutzlosen Jagens nach einer ständig fliehenden Glückseligkeit müde geworden ist.«
    Diese Mobilität hatte im 19. Jahrhundert einen praktischen Grund: Man konnte damit gutes Geld verdienen. Sobald mehr Siedler kamen, wurde das Land nämlich teurer. Ein geschickter Farmer verkaufte dann seinen Besitz, zog westwärts, machte in der Wildnis ein neues Stück Land urbar, verkaufte das nach ein paar Jahren wieder und zog erneut weiter. Es kam vor, dass Farmer fünf- oder sechsmal diesen Schritt machten.
    Tocqueville suchte nach einem tieferen Grund für die auffällige Ruhelosigkeit der Amerikaner. Die wichtigste Ursache war seiner Meinung nach die soziale Gleichheit der Menschen dort, »in der weder das Gesetz noch die Sitte irgendjemanden an seinem Platz festhalten« wie im alten, standesbewussten Europa. Die Amerikaner hätten ein gewisses Niveau der Gleichheit erlangt, doch »die, die sie ersehnen, können sie nicht erreichen«. Weil Freiheit herrsche und einem theoretisch alle Möglichkeiten offenstehen, sehe man immer wieder Menschen, die ihren Kurs änderten, »aus Angst, sie könnten den kürzesten Pfad zum Glück verfehlen«. Tocqueville beobachtete das mit Sorge.
    Andere Besucher empfanden diese Ungebundenheit hingegen als äußerst befreiend. In ihren Augen war sie Teil der unaufhaltsamen Vitalität

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