Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)
dieser Nation. Der aus Spanien stammende Philosoph George Santayana drückte es so aus: »Amerikaner lösen keine Probleme, sie lassen sie zurück.« Vielleicht hängt dieses Verhalten mit dem alten Versprechen vom Überfluss in der lockenden Ferne zusammen. Wenn eine Situation ihnen nicht mehr behagt, dann ziehen sie weiter – ganz gleich, ob es dabei um internationale Politik oder den Wohnort geht.
Laut Santayana, der vierzig Jahre seines Lebens in den Vereinigten Staaten verbrachte und eine der besseren Analysen des Landes schrieb, werden Amerikaner dabei nicht durch Geld oder Habsucht angetrieben. Dann würden sie viel besser auf ihre Sachen achten, mit denen sie im Gegenteil auffallend großzügig und sorglos umgehen. Geiz und Raffgier finde man überall, aber typisch amerikanische Eigenschaften seien das ganz sicher nicht. Obwohl sie oft über Geld redeten, trennten sie sich auch mühelos davon. »Mit einer gewissen Leichtherzigkeit«, schreibt Santayana, denn darunter liege ein tieferer Impuls. »Amerikaner sein ist an und für sich schon ein fast moralischer Zustand, eine Entwicklung, eine Laufbahn.«
Steinbeck bekam bei seinen Übernachtungen zwischen den Mobilheimen in Vermont diesen Widerspruch zwischen Verbundenheit und ewiger Unrast, zwischen » home « und der Ferne unsanft zu spüren. Sein Aufenthalt inmitten der »Marsmenschen« des neuen Amerika und ihrer Häuser aus Aluminium und Sperrholz brachten ihn ganz durcheinander – auch wenn er das in seinem Buch nicht deutlich erkennen lässt. Diese Art zu leben könnte, seiner Meinung nach, der endgültige Sieg über die Unrast sein, das definitive Ende des Begriffs » home «. Elaine schreibt er ausführlich über diese Mobilheime, die bedeutend billiger sind als ein Haus. Er vergleicht die Bewohner mit weißen Hühnern in einer Legebatterie und berichtet, dass sie jedes Jahr auf das neue Modell warten und ihr altes dann, wie ein Auto, gegen ein neues tauschen. »Es läuft darauf hinaus, dass man ein Haus wegwirft, so wie man ein Auto zum Schrottplatz bringt.«
In seinem Buch Amerika und die Amerikaner kam er noch einmal auf dieses Erlebnis zurück. Das Wort » home «, schreibt er, könne jeden Amerikaner zu Tränen rühren. Bauunternehmer errichten nie Häuser, nein, sie bauen » homes «. Das Traumheim stehe entweder in einer kleinen Stadt oder in einem Vorort, wo Gras und Bäume die Illusion von Ländlichkeit vermitteln. Das Traumheim ist für alle Zeiten, es wird niemals gemietet, immer ist es Eigentum. »Es ist ein Mittelpunkt«, schreibt Steinbeck, »wo Mann und Frau auf unbeschwerte Weise zusammen altern, verklärt durch die Gegenwart gutgewaschener Kinder und Enkel.« Und doch zieht der durchschnittliche Amerikaner bestimmt zehnmal in seinen Leben um, wenn nicht öfter.
Unterwegs besprach er das Thema mit Charley. Ist die Unrast eine amerikanische Eigenschaft, die durch genetische Selektion entstanden ist? In den Städten und Dörfern, aus denen sie stammen, zählten die Emigranten schließlich oft zu den Aktivsten. Sind wir Amerikaner nicht von Natur aus ein unruhiger Menschenschlag? Aber das ist es nicht allein. Der Begriff » home « darf keine feste Realität sein, er ist eine gemeinschaftliche, tiefwurzelnde Illusion, ein unabtrennbarer Teil des nationalen Traums aller Amerikaner. »Es will mir scheinen«, so schreibt er, »daß alle Träume – im Schlafen und im Wachen – starke, hervorstehende Erinnerungen an etwas Wirkliches, wirklich Geschehenes darstellen.« Anders ausgedrückt: Vielleicht gibt es das » home « heute nicht mehr, aber es hat einmal existiert.
In der Nacht, die Steinbeck in dem Trailerpark verbrachte, ging er hinaus, um zu urinieren. Er schaute auf das riesige erleuchtete Fenster seines Nachbarn, als wäre es ein Büro. »Schrecklich«, schrieb er an Elaine. »Ein Haus sammelt. Ein Haus hat ein Dach aus Hoffnung und einen Keller voller Erinnerungen. Das ist unsere Art von Haus. Aber dies ist eine neue Art. Dem Mann war es ernst. Dieses Ding aus Sperrholz und Aluminium ist sein ›home‹.«
John Steinbecks düstere Zukunftsprognose stimmte übrigens nicht mit der Realität überein. Was die Amerikaner früherer Zeiten vor allem weitergetrieben hatte, waren nicht ihre nationalen Träume, wie Steinbeck behauptet, sondern Arbeitslosigkeit, Armut, Dürre, bankrotte Farmen und andere Katastrophen. Nach dem Krieg nahm diese Art von Kalamitäten stark ab, und umgehend blieben die Amerikaner häufiger »zu Hause«. Um
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