Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)
immer öfter auch eines der Armut. Wenn man im Jahr 2010 durch die Vereinigten Staaten fährt, merkt man sehr bald, dass Tausende von Amerikanern ein sogenanntes recreational verhicle (RV) immer noch als ihr » home « betrachten. In den Luxusexemplaren leben »graue Nomaden«, wohlhabende Rentner, die allein oder in Gruppen durchs Land reisen, im Sommer nach Norden, im Winter nach Florida oder Kalifornien, die angenehmen Seiten des Lebens genießend, bis zu ihrem Tod. Für die meisten anderen ist solch ein RV die letzte Station vor der Gosse. »Wenn du den ärmsten Teil der Stadt sehen willst, musst du zu den trailer courts gehen«, sagen meine amerikanischen Freunde. »In den RVs versammeln sich die neuen Immigranten, dort findest du all jene Menschen, die auf irgendeine Weise in eine Sackgasse geraten sind, lauter Gescheiterte.«
Ich denke an die Elendsdörfer, durch die ich bei früheren Reisen durch die Wüste von Arizona gekommen bin, ein paar weiße Wohnmobile und Wohnwagen, einsam in der vibrierenden Hitze. Hier wohnen Gelegenheitsarbeiter und arme Ruhesuchende; Rentner, deren Haus von Arztrechnungen verschlungen wurde und die nur noch einen Wohnwagen in einem Wüstendorf bezahlen können; Patienten, die saubere Luft brauchen und die sich niemals ein Haus in den Bergen werden leisten können. Ausnahmslos alle leben drinnen, mit einer brummenden, voll aufgedrehten Klimaanlage auf dem Dach und nichts als einem alten Fernseher als Ablenkung.
Robert Kaplan interviewte auf seiner Rundreise Mitte der neunziger Jahre einen Navajo-Indianer, Cayce Boone, dessen Job es war, das Kabelfernsehen in den Wohnwagen anzuschließen und wieder abzuklemmen, und der einer der wenigen war, die regelmäßig Zutritt zu dieser Art von » home « hatten. Was er dort erlebte, so berichtete er, waren schmutzige Menschen, die nicht lesen konnten, die nicht miteinander redeten, die wenige oder gar keine Verwandten und Freunde hatten, die ihren Kindern kein Essen zubereiten konnten, die oft nur eine unbezahlte Rechnung von der Privatinsolvenz und Obdachlosigkeit entfernt waren. Das bisschen Geld, das sie hatten, gaben sie fürs Kabelfernsehen aus. »Fernsehen«, sagte er, »ist für eine vollkommen neue Klasse von stillen Menschen alles, woraus ihr Leben besteht.«
Unsere Reise bekommt währenddessen, genau wie die Steinbecks, etwas Trostloses, wie ein endloser verregneter Urlaub in den Ardennen. Die bunten Blätter, schwer vor Nässe, taumeln nun massenhaft zu Boden, die ersten kahlen Bäume sind zu sehen, das Wasser im Fluss tost an den Pfeilern der Holzbrücke vorüber, hier und da sind Teile der Straße überflutet. Erneut nähern wir uns der kanadischen Grenze, die Häuser werden hübscher, die Rasenflächen akkurater.
Die Main Street von Hardwick ist nicht mehr das, was sie mal war; das schicke Hardwig Inn steht leer, einige Geschäfte sind mit Brettern vernagelt oder ein Pizzaexpress hat sich im Ladenlokal niedergelassen. Das Village Restaurant, gleich am dahinstürmenden Fluss, hält tapfer stand. Es befindet sich in einem alten Gebäude aus Holz, an dem offenbar im letzten halben Jahrhundert nichts verändert wurde. Überhaupt macht das normale Amerika – im Vergleich zu Europa – oft einen ziemlich altmodischen Eindruck. Steinbecks Sorgen wegen des überall aufkommenden Kunststoffs haben sich längst nicht überall als berechtigt erwiesen. Die Stühle und Tische, sogar die Messingtürklinken der Toiletten, alles glänzt vor Alter. Was das Essen angeht, hat man in dieser Art von Lokal nie etwas zu klagen: solide Hausmannskost.
Es regnet immer weiter, in Strömen, und The Caledonian Record ist voller alarmierender Berichte von Flutwellen und Überschwemmungen, die unseren Weg kreuzen können. Wir beschließen, eine längere Rast zu machen. Ich muss ernsthaft nachdenken, denn ich habe ein Problem. In diesem Herbst ist noch ein weiterer Journalist unterwegs, genau wie ich, mit Steinbecks Geist auf dem Beifahrersitz. Und schlimmer noch: Ein weiterer Autor, einer, der für eine Website für Hundeliebhaber schreibt, hat sich dieselbe Route vorgenommen, mit Charleys Geist als Begleiter. Meine Expedition ist offenbar weniger einzigartig, als ich dachte.
Obwohl wir derselben Spur und derselben Route folgen, habe ich zunächst nichts davon bemerkt. Bis ich nach Lancaster am Connecticut River in New Hampshire kam. Lancaster ist eine kleine Stadt, die eiserne Brücke, über die Steinbeck fuhr – »ich ratterte über die Eisenbrücke,
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