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Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Titel: Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geert Mak
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verlassene – Molkerei mit dem Apfelbaum wieder, unter dem Steinbeck die erste Nacht campiert haben soll. Und in Lancaster hatte er sehr bald das Geistermotel entdeckt, von dem Steinbeck berichtet, das Whip-O-Will, wovon heute nur noch eine Ruine übrig ist.
    Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass ich eine Tagesreise hinter Steigerwald war und dass mich vollkommen andere Dinge interessierten. Wir würden einander nicht ins Gehege kommen.
    Am nächsten Tag hat sich das Wetter gebessert. Wie Steinbeck lassen wir St. Albans rechts liegen, überqueren bei Rouses Point die Grenze zum Staat New York und fahren anschließend an der kanadischen Grenze entlang über Malone, dann Potsdam und Watertown zum Ontariosee. Es wird wärmer, die Herbstluft ist mild, es duftet nach Erde, Schwamm und Wehmut. Entlang der Landstraßen blühen die blauen Astern und die Zichorien noch immer üppig. Vor den Häusern liegen überall stolze Reihen aus orangefarbenen Kürbissen. Die Leute sind dabei, Gespenster und Hexen zu basteln, Halloween steht vor der Tür.
    In Altona findet gerade ein garage sale statt. Das ist das hier übliche Verfahren, um bei einem Umzug überflüssige Dinge loszuwerden. Ein Stück weiter stehen zwei leere Häuser, der alte Hausrat stapelt sich noch an der Fassade. Die Main Street von Chateaugay ist halb verlassen, das örtliche Restaurant bietet Lastwagenfahrern until 3 o’clock einen Rabatt an, aber Türen und Fenster sind vernagelt.
    Dies ist eine arme Gegend mit Maisfeldern und Weideflächen, mit lauter farblosen Häusern, hohen, leeren Scheunen, verrosteten Silos und hier und da einer verlassenen Farm. Man sieht an den Häusern, wie sich der Geldmangel anschleicht: zuerst abblätternde Farbe und schlecht unterhaltene Dächer, in der nächsten Phase Flicken auf den undichten Stellen im Dach und eine verrottete Veranda, in der Endphase kaputtgeschlagene Scheiben und eingetretene Türen. Doch plötzlich tauchen dann wieder gut erhaltene Häuser am Wegesrand auf, der Wechsel ist auffallend schnell und abrupt.
    Von jenseits der Grenze weht eine kanadische Radiosendung in unseren Jeep, mit alten Witzen, über die wir dennoch lachen müssen – aber vielleicht ist das auch eine Folge der Fünfziger-Jahre-Atmosphäre, die auf einmal wieder zum Leben erwacht, die Gemütlichkeit des Alle-hören-gemeinsam-Radio, die die Sendung ausstrahlt. Das Zentrum von Potsdam sieht aus, als wäre es original aus dem Preußen des Jahres 1900 nach hier verfrachtet worden, mit der mächtigen Highschool aus Ziegelsteinen, der Hallenkirche und dem Rathaus. Sogar die alten, braunroten Streben unter der Eisenbahnbrücke vermitteln den Eindruck, als seien sie aus der Heimat hierhergebracht worden. Links und rechts vom Weg liegt das halbe Sortiment eines Kuscheltierladens, wenn auch in blutiger und entstellter Form, lauter überfahrene Wildtiere: Igel, Waschbären, Füchse, Wiesel. Im Sandy Creek bei Ellisburg stehen Dutzende Männer mit großen Cowboyhüten in der Mittagssonne und angeln.
    Gegen Abend kommt Wind auf. Sandy führt uns nach Henderson Harbor, das an einem Ausläufer des Ontariosees liegt, und ins Captain Cove Motel. Es wird schon wieder früh dunkel. Wir sind die einzigen lebenden Seelen hier, abgesehen vom schwermütigen Motelbesitzer. Die meisten Boote liegen wegen des bevorstehenden Winters bereits am Ufer. Der Wind pfeift durch die Wanten, die Stege quietschen, Rohre und Abwasserkanäle gurgeln im Rhythmus der gemächlichen Wogen des Sees.
    Ich lese die Burlington Free Press , die ich unterwegs irgendwo gekauft habe. Wieder ist ein Sohn des Staates Maine gefallen. Anthony Rosa aus Swanton. Die Zeitung berichtet ausführlich über sein Begräbnis, Hunderte von Menschen standen am Straßenrand, als er vorbeikam. »Er war einer von der Sorte Jungs, auf die man zählen konnte, wenn nachts um eins dein Auto aus dem Graben geschoben werden musste.«
    Die Bärenjagd hat auch wieder begonnen – hier nennt man sie bear harvest , »Bärenernte«. Die Zahl der Bären nimmt ständig zu, allein in Vermont sind es etwa sechstausend, darunter etliche bekannte Störenfriede – auch für sie gibt es einen bestimmten Ausdruck, nuisance bears , »Problembären«. Im fernen Europa drohen Terroranschläge, die Burlington Free Press berichtet ausführlich darüber. Die Geheimdienste raten zur Vorsicht, die Vereinigten Staaten haben sogar schon eine Reisewarnung veröffentlicht: Amerikaner sollen in europäischen Ländern besonders aufpassen.

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