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Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Titel: Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geert Mak
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wischt eine Träne fort. Nächste Szene: eine Familie zu Hause. Große Sofas, alte Onkel und Väter, wieder ein Mütterchen, derselbe Schnulzensänger, Seufzen, Schweigen, ein paar Schluchzer. Nächstes Bild: die Küche. Der Koch – auch schon weit über sechzig – bereitet ein typisches lokales Gericht zu, wieder erscheint der Sänger, wieder so eine Schnulze. Träne um Träne geht es so weiter, die Macedonian Heritage Hour, Tag für Tag Heimweh in Konserven nach einer Welt, die es schon lange nicht mehr gibt.
    Ich muss an den amerikanischen General Patton denken. Seine Botschaft vom 10. Juli 1943 an die alliierten Truppen, als diese mit der Landung auf Sizilien zum ersten Mal europäischen Boden betraten, ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: »Wenn wir gelandet sind, so werden wir auf deutsche und italienische Soldaten treffen, die anzugreifen und zu vernichten unsere Ehre und unser Vorrecht ist. Viele unter euch haben deutsches und italienisches Blut in den Adern; denkt jedoch daran, dass diese eure Vorfahren so sehr die Freiheit liebten, dass sie Heim und Heimat aufgaben, um jenseits des Weltmeers Freiheit zu suchen. Die Vorfahren der Menschen, die uns zu töten obliegt, ermangelten des Muts, um ein solches Opfer zu bringen, und blieben daher Knechte.«
    So pathetisch Pattons Worte auch sein mochten, sie trafen dennoch ziemlich genau die Wirklichkeit. Die Mehrheit seiner Truppen entstammte tatsächlich europäischen Familien. Und die meisten ihrer Eltern oder Großeltern – weiter reichte die »amerikanische« Familiengeschichte in der Regel nicht zurück – hatten sich tatsächlich bewusst für den amerikanischen Lebensstil entschieden und damit ihren europäischen Ballast abgeworfen. Viele waren einer beklemmenden Welt entflohen, in der sie von Grundbesitzern ausgebeutet worden waren, und hatten Pogrome, Diskriminierung und Verfolgung überstanden. Sie wollten – von einigen Ausnahmen einmal abgesehen – nicht den heimischen Lebensstil genau kopieren, ihnen war klar, dass sie sich nun in einer vollkommen neuen Situation befanden, in einem ganz und gar neuen Land.
    In Kanada verhält es sich anders. Kanada ist ein Kolonie, die nicht von einer, sondern von zwei Nationen abstammt – England und Frankreich –, und das hat den Kanadiern einen beinahe natürlichen Respekt vor der Andersartigkeit des jeweils anderen eingeimpft. Gleichzeitig sind sie nüchtern, was Immigranten angeht: Liebe und Arbeit müssen von beiden Seiten erbracht werden, von der kanadischen Gesellschaft ebenso wie von den Immigranten selbst. Darin ähneln sie den Amerikanern. Bezeichnend ist eine Befragung nach den wichtigsten Lebensregeln, die das Pew Research Center in den Jahren 2002/2003 in vierundvierzig Ländern machte. Eine der vorgegebenen Thesen lautete: »Erfolg im Leben wird in hohem Maße durch Kräfte bestimmt, auf die wir keinen Einfluss haben.« Die Europäer stimmten dem, zum Teil, zu. Die Amerikaner und Kanadier konnten damit nichts anfangen.
    Doch die Kanadier kombinieren diese Haltung mit manchen Elementen des europäischen Versorgungsstaates, etwas, was die meisten Amerikaner immer stärker ablehnen. Was das betrifft, existiert der väterlich sorgende Fürst immer noch. Hier werden die Dinge ordentlich geregelt: Während die Banken in Amerika und Europa in der Krise 2008 ins Wanken gerieten, waren die kanadischen Geldhäuser, gut reguliert und diszipliniert, kaum davon betroffen. Der Polizist, so stellte Robert Kaplan bei seiner Rundreise fest, ist hier ein nationales Symbol, Helden sind häufiger Gruppen – wie die Erbauer der transkontinentalen Eisenbahn – als Individuen. Kaplan: »Kanada hatte nie einen ›Wilden Westen‹, weil die Royal Canadian Mounted Police früher da war.«
    Die kanadische Schriftstellerin Margaret Atwood verglich einmal die Idee, die hinter Amerika steht – The Frontier , die immer weiter vorgeschobene Westgrenze –, und die Idee hinter Großbritannien – The Island – mit dem Kernthema ihres eigenen Landes: Survival , Überleben. »Was durch das Leitmotiv unseres Landes wachgerufen wird, hat nichts mit der Aufregung und der Spannung von Gefahr zu tun, die von The Frontier ausgeht, und auch nicht mit der Selbsteingenommenheit und/oder dem Gefühl der Sicherheit und dass alles an seinem Platz ist, die The Island zu bieten hat«, schreibt sie. Nein, das Kernthema Kanadas geht einher mit einer fast unerträglichen Angst. »Unsere Geschichten sind nicht die Geschichten von

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