Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)
jemand nicht passte, konnte dieser sofort seine Sachen packen, Gewerkschaften waren tabu. Seine politischen Ansichten waren gleichermaßen extrem. Das klassische antisemitische Pamphlet Die Protokolle der Weisen von Zion wurde mit Fords großzügiger Unterstützung ins Englische übersetzt und in Amerika auf den Markt gebracht. Sein Pastor Samuel Marquis schrieb: »Wäre Ford doch nur so ordentlich konstruiert wie seine Autos! Machte er doch bloß mit sich selbst, was er mit seiner Fabrik tat!«
Bei seinem zweiten Besuch, nach dem Krieg, traf Gunther einen milderen Henry Ford, und auch die Atmosphäre in den Fabriken war entspannter. Einschüchterungen durch Gangster gab es nicht mehr, das Verhältnis zu den Gewerkschaften hatte sich mehr oder weniger normalisiert, und der alte Herr konzentrierte sein unglaubliches Vermögen jetzt vor allem auf sein geistiges Erbe.
Seine Firma hatte sich inzwischen zu einem gigantischen Konzern entwickelt, ein frühes Beispiel für Globalisierung. Schon damals war Ford, schrieb Gunther, eine Regierung für sich, oft mächtiger als echte Regierungen, mit einem Jahresumsatz, der dreimal so hoch war wie der Staatshaushalt von, zum Beispiel, Brasilien. Auch unter den größten Konzernen behielt Ford eine eigenwillige Sonderstellung: Das Unternehmen blieb bis nach dem Krieg ein Familienbetrieb, basierend auf einem Familienvermögen von mehr als 800 Millionen Dollar. »Ford muss keine externen Anteilseigner zufriedenstellen, keine Bankinteressen berücksichtigen, keine verwaltungstechnischen Doppelfunktionen aufeinander abstimmen«, schrieb Gunther. Für ihn war Ford der Letzte der spektakulären, sturen und unberechenbaren amerikanischen Individualisten. »Wenn er plötzlich den Preis für seine Autos senkt, so wie er es Anfang 1947 ohne jede Vorankündigung tat, dann zittert der Rest der Branche vor Schreck, weil Ford das tun kann, aber andere Firmen möglicherweise nicht – oder besser gesagt: Selbst wenn sie es könnten, würden sie es vielleicht lieber nicht tun.«
Mit Gunther sprach Ford vor allem über seine Museumspläne. In seinem Geburtsort Greenfield Village, in der Nähe von Dearborn, unternahm er den großangelegten Versuch, die amerikanische Vergangenheit wieder zum Leben zu erwecken. Er wollte das Amerika wiederauferstehen lassen, das er als Junge gekannt hatte. Das Problem war nur, dass er, wie Gunther zu Recht bemerkt, wie kein anderer dem alten Amerika den Garaus gemacht hatte. »Jetzt, auf seine alten Tage, darf er, aus einer Art Verdrängung oder Nostalgie heraus, gerne in einer Schmiede ein wenig Liebhaberei betreiben und alte Lokomotiven suchen, die ›puff-puff‹ machen. Der Mann, der den Ford T baute, möchte in Greenfield Village keine Autos sehen, außer im Museum.«
Der Museumsplan war eine extreme Übung in Machbarkeit: Wir können alles bauen und kaufen, warum dann nicht die Zeit wieder aufbauen, die Uhr zurückdrehen, erneut der Farmerssohn sein, der man früher einmal war, den Apfel aus dem verlorenen Paradies polieren und wieder an den Baum hängen? Mit Hilfe dieses Museums sollte der Besucher buchstäblich wieder nach Hause zurückkehren können, ins home des Farmerssohns Henry Ford, ins »gute«, ländliche, hart arbeitende Amerika seiner Jugend. Das war pure Nostalgie, vermutlich aus demselben Unbehagen über das neue Amerika heraus entstanden, das auch Steinbeck umtrieb, allerdings auf vollkommen andere Weise erlebt und umgesetzt.
Henry Ford arbeitete schon seit Jahren an seinen Museumsplänen, als er Gunther empfing, und einiges gab es bereits: ein Bauernhaus aus dem 16. Jahrhundert, das Stein für Stein und Brett für Brett aus den Cotswolds in England herübergebracht und bis ins kleinste Detail restauriert worden war; das Haus, in dem Abraham Lincoln seine Anwaltskanzlei hatte, die Garage, in der Ford sein erstes Auto baute, das Originallabor von Fords größtem Helden, Thomas Alva Edison, inklusive der Retorten und Reagenzgläser, in denen er seine Versuche machte, und dem Korb, mit dem er als Junge Zeitungen und Bananen verkauft hatte. Alles von Ford, wie eine Elster, aus dem Land und der Geschichte stibitzt.
Heute hat der Komplex die Größe eines riesigen Vergnügungsparks. Kleine Schmalspurbahnen und Oldtimer fahren dort herum, man kann die Werkstatt der Brüder Wright besichtigen, und wenn es stimmt, was ich gehört habe, dann wurde die Sammlung inzwischen um einen Behälter erweitert, der den letzten Atemzug von Thomas Alva Edison
Weitere Kostenlose Bücher